Aus dem GERICHTSSAAL: Flucht aus der Drückerkolonne
Angeklagter Schwarzfahrer will aus Angst vor Verfolgung quer durch Deutschland gefahren sein
Stand:
Schwarzfahren scheint für Manuel M.* beinahe so normal zu sein wie essen und trinken. Schon dreimal musste sich der 21-Jährige vor Justitia verantworten, weil er immer wieder ohne Ticket erwischt wurde. Auch jetzt ging es erneut um „Erschleichen von Leistungen“ – und zwar in neun Fällen zwischen dem August 2012 und Januar 2013. Die Bahn bezifferte den ihr entstandenen Schaden auf rund 250 Euro. Das Geld will sie natürlich von dem Potsdamer zurückhaben.
Eine weitere Anklage legte dem Hartz-IV-Empfänger den Diebstahl eines Fahrrades in der Nacht des 21. Oktober im vergangenen Jahr sowie den – allerdings missglückten – Klau eines als Werbeträger dienenden Gefährts am Hotel Bayrisches Haus im Wildpark zur Last. Jugendrichterin Doris Grützmann sah in der Verhandlung deutliche Reifeverzögerungen bei dem jungen Mann. Manuel M. wurde verwarnt und muss binnen fünf Monaten 200 Stunden unentgeltlich arbeiten. Die Entscheidung ist bereits rechtskräftig.
Manuel M. erzählte vor Gericht eine haarsträubende Geschichte von einer Leipziger Drückerkolonne, in der er im Frühling 2012 gearbeitet habe. Für seine Tätigkeit will er allerdings kaum einen Cent erhalten haben. Irgendwann sei er aus Frust abgehauen, dann aus Angst vor Verfolgung mit diversen Zügen quer durch Hessen gefahren, natürlich ohne Billett. Manchmal ging es gut, manchmal nicht. Schließlich habe er sich zu seinen Eltern nach Sachsen-Anhalt geflüchtet. Bis er dort ankam, sei er Opfer mehrerer Fahrscheinkontrollen geworden. So richtig klar scheint ihm bis heute nicht zu sein, dass Schwarzfahren eine Straftat ist.
Auch dass man ein Fahrrad nicht mitnehmen kann, bloß weil man keine Lust zum Laufen hat, sieht Manuel M. in der Verhandlung eher locker. Eigentlich sei der Alkohol schuld gewesen, den er und sein Kumpel in der Tatnacht konsumierten, versuchte er sich zu verteidigen. Was der Angeklagte mit dem Werbeträger vorhatte, wäre nicht die Polizei dazwischengekommen, vermochte er nicht zu sagen.
Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe zeichnete das Bild eines jungen Mannes, dessen Entwicklung bislang – vorsichtig ausgedrückt – nicht optimal verlief. Die 10. Klasse schaffte Manuel M. demnach noch. Danach driftete er in die Drogenszene ab. Die Ausbildung zum Flachglasmechaniker brach er ab. Ärger mit den Eltern war vorprogrammiert. Inzwischen haben sie den Kontakt zu ihrem Sohn vollständig gekappt. Manuel M. kam vorübergehend bei einem Freund unter, danach im betreuten Wohnen. Seit Kurzem hat er eine eigene Bleibe. Eine Betreuerin unterstützt ihn „in allen Lebenslagen“. Er ist auch wieder krankenversichert, hat Kontakt zur Schuldnerberatung aufgenommen, um seine Verbindlichkeiten nach und nach begleichen zu können. Ein Problem, räumte die Sozialarbeiterin ein, sei der Konsum von Gras – also Cannabis –, dem Manuel M. weiterhin fröne und der auch seinen Preis habe.
Obwohl Manuel M. eine Vielzahl von Taten beging, sahen Staatsanwaltschaft und Gericht aber noch keine schädlichen Neigungen. Dadurch wäre auch eine Jugendstrafe gerechtfertigt gewesen. (*Name geändert.) Hoga
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