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Von Antje Horn-Conrad: Flügel auf Beton

Zeichen gesetzt: Die Potsdamer Künstlerin Christine Blümer bedruckte mit Schülern den Hof der Theodor-Fontane-Schule

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Raffael, Rubens, Renoir – die Kunstbände ihres Vaters waren die Bilderbücher ihrer Kindheit. Selbst zu malen, das fand sie völlig normal. Sehr früh wusste Christine Blümer, dass sie dies auch im Erwachsenenalter tun würde. Wenn sie heute als bildende Künstlerin immer mal wieder in Schulen geht, um mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten, dann um sie teilhaben zu lassen an den beflügelnden Momenten des Schaffens, die sie selbst so gut kennt.

Die Künstlerin weiß: Das braucht Geduld. Manchmal ist es ein zähes Ringen, eine umständliche Suche nach dem richtigen Berührungspunkt, an dem die Heranwachsenden sich öffnen, ihre eigene Verunsicherung zeigen, Sensibilität zulassen. Nicht anders war es in den vergangenen Monaten an der Theodor-Fontane-Schule in der Potsdamer Waldstadt, wo Christine Blümer sich mit Neuntklässlern vorgenommen hatte, ein Kunstwerk für den sanierten Schulhof zu entwerfen. Hellgrau lag der frisch verlegte Beton vor ihnen. Eine abgezirkelte Fläche quadratischer Platten. Die Begeisterung der Schüler hielt sich in Grenzen. „Ich kann sowieso nicht malen“, machten einige gleich am Anfang „dicht“.

Christine Blümer aber ließ sich nicht abschrecken. Ausgebildet an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, geprägt von Werkbund und Bauhaus, weiß sie um die soziale Bindekraft der Künste. Die Jugendlichen sollten sich den Schulhof als Ort aneignen, eine Beziehung zu ihm entwickeln und dabei etwas über sich selbst herausfinden. Anders als im Unterricht, gab es keine Noten, keine Leistungsbewertung. „Es hat eine Weile gedauert, bis sie merkten, dass sie in diesem Projekt nicht versagen können“, erinnert sich Christine Blümer. Für sie lag hier der Schlüssel. Um etwas von sich zeigen zu können, brauchten die Schüler mehr Selbstvertrauen in das eigene Können.

Ihre Scheu vor dem freien Malen umging die erfahrene Künstlerin mit einem Trick. Sie ließ die Jugendlichen nach Symbolen und Gedanken suchen, die ihnen wichtig sind: Smilies aus dem elektronischen Postverkehr, ein entflammtes Herz, Hände, die ineinander greifen, und zwei Flügel, wie sie Pegasus auf seinem Rücken trägt. Ein Junge, der sich für Asien begeistert, wählte die chinesischen Schriftzeichen für Respekt, Liebe, Mut und Familie. Mit Hilfe von Schablonen wurden die Symbole schließlich als Stencil-Art auf den Beton übertragen.

Acht Schüler haben auf diese Weise der grauen Fläche auf dem Schulhof ihren Stempel aufgedrückt. Insignien, die so schnell nicht verblassen. In leuchtendem Rot markieren sie End- und Anfangspunkte auf den Boden geschriebener Zitate und Sprichworte, die Christine Blümer mit den Schülern ausgewählt hat. Jeder Buchstabe füllt eine Betonplatte. Steht man mit den Füßen darauf, kann man die Sätze nur schwer entziffern. Mit etwas Abstand jedoch, aus dem oberen Stockwerk des Schulgebäudes blickend, ergibt sich ein Sinn: „Manchmal ist es ein großes Glück, nicht zu bekommen, was man unbedingt haben will“, steht da geschrieben. „Ein Spruch, den die Kids erst gar nicht mochten“, erzählt Christine Blümer.

Die Sicht auf die Dinge aber, das hat sie schon oft erfahren, ändert sich. Standen einige der Schüler anfangs unbeteiligt und eher skeptisch am Rand, so griffen mit der Zeit immer mehr zum Pinsel, um die Farbe aufzustreichen. Manche vergaßen darüber die Stunden und blieben bis nach Schulschluss. Etwas mit den eigenen Händen zu gestalten und dafür Anerkennung zu bekommen, wurde ihnen plötzlich wichtig. Nicht zum ersten Mal beobachtete Christine Blümer diesen von ihr so gewünschten Aneignungsprozess. „Die Kinder zu gewinnen, ist oft die größere Arbeit“, sagt sie. „Vielen fällt es schwer, etwas von sich mitzuteilen.“ Wenn es dann aber doch gelingt, ist sie wieder ganz sicher, solche Projekte immer von Neuem zu beginnen. Graue Schulhöfe gibt es noch genug.

Antje Horn-Conrad

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