Von Christopher Ziedler: Flugrouten auf Belgisch: Viel Lärm oder nichts
Heute ist wieder so ein Tag gewesen. Die Sonne scheint, und außer dem ersten Vogelgezwitscher ist nichts zu hören.
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Heute ist wieder so ein Tag gewesen. Die Sonne scheint, und außer dem ersten Vogelgezwitscher ist nichts zu hören. Das ist angenehm, für Menschen, die wie ich mit meiner Familie im Brüsseler Osten wohnen, aber nicht immer so. Es gibt Tage, da ist es laut, sehr laut sogar. Alle paar Minuten donnern dann Flugzeuge über uns hinweg – die großen besonders laut, weil sie so kurz nach dem Start vom nahegelegenen Flughafen in Zaventem noch nicht so hoch gestiegen sind wie die kleineren.
Mal laut, mal leise – als Journalist will man ja immer wissen, warum etwas ist, wie es ist. Erste private Wetterbeobachtungen, der naheliegendste Rechercheansatz, bringen jedoch nichts ein. Sie fliegen bei Sonne und mal nicht. Sie fliegen bei niedriger Wolkendecke und mal nicht. Sie fliegen mal bei Wind, mal bei Windstille. Selbst die Himmelsrichtung, aus der er bläst, lässt keine Schlussfolgerung zu.
So frage ich beim Warten auf die Kinder vor der Schule andere Eltern. Und erfahre, dass das Laut-Leise-Phänomen tatsächlich fast nichts mit Wind und Wetter zu tun hat, es sich vielmehr um einen „compromis à la belge“ handelt. Ein hoch umstrittenes Fluglärmverteilungsgesetz regelt schon seit Ewigkeiten, wann der aus Zaventem in Flandern startende Flieger eine flämische Gemeinde beschallt und wann er direkt nach dem Abheben auf die Stadtgrenze der eigenständigen und offiziell zweisprachigen, praktisch aber frankophonen Hauptstadt Brüssel zusteuern muss. Ich höre von komischen Kurven, die die Piloten fliegen müssen, und erinnere mich an ungewöhnliche Flugbewegungen beim Anflug auf Zaventem.
Gerechtigkeit ist geil, schon wahr, und ich freue mich auch über den ruhigen Tag heute. Aber sollten Flugzeuge, so zumindest meine bescheidene Erinnerung an den Physikunterricht, nicht gegen den Wind starten und landen? Besorgt rufe ich bei Belgocontrol an, der belgischen Flugsicherung: „Die Flugrouten werden politisch bestimmt“, bestätigt die Sprecherin, die jedoch sofort versucht mich zu beruhigen, „wir greifen aber ein, wenn es die Windverhältnisse nicht zulassen, dass der Plan umgesetzt wird.“ Aha! Und was ist mit der einst als Ausweichlandebahn geplanten Piste in Nord-Süd-Richtung, die jetzt so oft benutzt wird, obwohl doch der Wind in Belgien meist in West-Ost- oder der genau entgegen gesetzten Richtung pustet? „Wie gesagt, das ist politisch – aber die Sicherheit ist nicht gefährdet.“
In Ordnung, denke ich, und tue die Behauptung, dass der Crash eines Jumbos im Mai 2008 etwas mit dieser Sache zu tun hat, als Verschwörungstheorie ab. Der Erklärung dafür, dass es im nördlichen Brüsseler Vorort Meise sonntags immer ruhig sei, weil dort der belgische Verkehrsminister wohnt, der das Gesetz einst auf den Weg brachte, schenke ich schon eher Glauben. Zumindest weiß ich jetzt, dass der aktuelle Amtsinhaber wohl nicht zusammen mit mir im Stadtteil Woluwé-St. Lambert wohnen kann.
Der Autor arbeitet als Korrespondent für den Tagesspiegel und die Potsdamer Neuesten Nachrichten in Brüssel
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