Landeshauptstadt: Folgenschwere Finsternis
Busfahrer vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen
Stand:
Busfahrer vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen Von Gabriele Hohenstein Babelsberg. „Wir wollten am 29. November 2001 zur Chorprobe im Rathaus Babelsberg – wie jeden Donnerstag“, erinnert sich Rosemarie L. (68) im Zeugenstand. Während sie mit ihrer Freundin Elisabeth O. unter aufgespannten Regenschirmen beratschlagte, ob sie am Wochenende die Trauerfeier für Regine Hildebrandt besuchen sollten, habe sie unversehens einen Stoß bekommen, der sie auf dem Grünstreifen der Johannsenstraße landen ließ. „Ich dachte noch, wieso liegst du jetzt mit deinen guten Sachen im Dreck? Dann sah ich plötzlich den Bus“, erzählt die Rentnerin. „Da schrie ich: Wo ist meine Elisabeth?“ Nachdem sie sich aufgerappelt hatte, habe sie den KOM-Fahrer gefragt, ob er sie denn nicht bemerkt hätte, so die geschockte Potsdamerin. „Er sagte nur, er sei geblendet worden.“ Auch sie habe den Omnibus nicht wahrgenommen, meint die Seniorin, stellt allerdings in Abrede, die Fahrbahn unaufmerksam überquert zu haben. Thomas R. (40) ist seit 15 Jahren Kraftfahrer. Genau so lange bewegt er sich unfallfrei auf den Straßen. Dass er Schuld am Tod der damals 64-jährigen Elisabeth O. tragen soll, belastet ihn sehr. Leise schildert der Familienvater, wie er am Spätnachmittag jenes ungemütlichen, feuchten Novembertages auf dem Weg in den Betriebshof von „Havelbus“ war. „Ich kam gegen 17.45 Uhr aus der Rudolf-Breitscheid-Straße, wollte nach links in die Johannsenstraße abbiegen. Es war bereits dunkel. Zu allem Überfluss waren dort zwei Laternen ausgefallen. „Die Stelle ist sehr gefährlich. Ich gucke hier lieber einmal zu viel als zu wenig“, beteuert der wegen fahrlässiger Tötung Angeklagte. Als die Straße aus seiner Sicht frei war, ein Autofahrer ihm zudem mit der Lichthupe ein Zeichen gab, sei er mit normaler Geschwindigkeit angefahren. „Die dunkel gekleideten Fußgängerinnen habe ich erst gesehen, als sie von dem Lichtkegel meines Busses erfasst wurden“, erzählt Thomas R. „Im selben Moment habe ich gebremst.“ Er sei sofort ausgestiegen, habe der vor seinem Bus liegenden Elisabeth O. erste Hilfe geleistet, per Funk die Rettung alarmiert. Die Frau verstarb wenig später im Ernst-von-Bergmann-Klinikum an einer schweren Schädel-Hirn-Verletzung. „Ihr Tod hätte auch bei sofortiger ärztlicher Hilfe nicht abgewendet werden können“, betont Rechtsmediziner Dr. Jörg Semmler (52) in seinem Gutachten. Der Kfz-Sachverständige Oliver Wagner (32) untersuchte den Mercedes-Bus nach dem tragischen Unglück auf dem Betriebsgelände in der Johannsenstraße. „Zu Beginn des Abbiegevorgangs standen die Frauen noch auf dem Gehweg“, errechnete der Experte. Zum Zeitpunkt der Kollision– so seine Ausführungen – sei der KOM-Fahrer zwischen 12 und 18 Stundenkilometern schnell gewesen. „Der Unfall hätte vermieden werden können, hätte der Angeklagte die Fußgängerinnen rechtzeitig gesehen.“ Doch Regen, Finsternis, die Blendwirkung entgegenkommender Fahrzeuge, dazu die dunkle Kleidung der Seniorinnen, ihre vor das Gesicht gehaltenen Schirme hätten Thomas R. kaum eine Chance gelassen, sie rechtzeitig zu erkennen. Auch könne der Pkw, der ihm per Lichthupe freie Fahrt signalisierte, einen Teil des Bus-Lichtkegels absorbiert haben. „Allerdings hätten die Frauen den Unfall verhindern können, wenn sie den Bus vor dem Betreten der Straße vorbeigelassen hätten“, so die Einschätzung des Experten. Das Urteil des Amtsgerichts: Freispruch.
Gabriele Hohenstein
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: