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35 Studien mit hunderten Patienten am Bergmann-Klinikum: Jetzt startete eine Kehlkopfkrebs-Studie

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Jedes Jahr erhalten rund 50 Potsdamer die Diagnose Kehlkopfkrebs. Bestenfalls können die Hals-Nasen-Ohren-Ärzte im Potsdamer Ernst-von Bergmann-Klinikum ihn weglasern. Die Heilungschancen sind dann sehr gut. Schlimmstenfalls aber müssen die Ärzte den gesamten Kehlkopf entfernen. Die Folge: Die Patienten können nicht mehr riechen, nicht mehr schmecken, verlieren ihre Stimme.

Die Ärzte des Bergmann-Klinikums wollen nun herausfinden, ob eine Strahlen- und Chemotherapie die Operation ersetzen kann. Das städtische Krankenhaus nimmt gemeinsam mit 17 anderen Kliniken an einer deutschlandweiten Studie teil, die die Ergebnisse der Radio-Chemo-Therapie mit den normalen Operationen vergleichen will. Forschung am lebenden Menschen ist nichts Ungewöhnliches im Potsdamer Klinikum. Insgesamt laufen dort rund 35 Studien mit mehren hundert Patienten. Die Kehlkopfkrebsstudie am Bergmann-Klinikum ist vor zwei Monaten gestartet.

„Der Kehlkopf hat viele soziale Funktionen – durch die Operation wird der Patient stigmatisiert“, sagt HNO-Chefarzt Dr. Markus Jungehülsing. Selbst wenn – wie derzeit üblich – nur Teile des Kehlkopfes entfernt werden müssen, würden die Patienten unter Schluck- und Sprechproblemen leiden. Zehn Ärzte aus drei verschiedenen Abteilungen werden nun die klinische Studie in Potsdam begleiten: Krebs- und Strahlenmediziner, also Onkologen und Radiologen genauso wie HNO-Ärzte. Noch suchen sie aber nach Patienten, die an der Studie teilnehmen wollen und dürfen. In Frage kommen dafür beispielsweise nur Patienten, deren Kehlkopf-Tumor größer ist als zwei Zentimeter. Denn die kleineren Geschwüre könnten die Ärzte weglasern – die unproblematischste Methode, bei der nur sehr selten die Stimmbänder verletzt werden, erklärt Jungehülsing. Später sollen zehn Patienten pro Jahr im Rahmen der Studie therapiert werden. „Wir führen hier aber keine Experimente durch“, betont der Chef der Onkologie, Prof. Georg Maschmeyer. So würden die Ärzte trotzdem operieren, wenn nach den ersten vier Wochen die Geschwülst eines Teilnehmers nicht um die Hälfte geschrumpft sei, der Krebs also nicht auf das verabreichte Medikament oder die Bestrahlung anspricht. Sieben Jahre lang wurde die Durchführung der Studie „DeLOS II“ im Leipziger Universitätsklinikum vorbereitet, etwa an der Dosierung und Zusammenstellung der Medikamente gefeilt. Nun soll bundesweit in Kliniken überprüft werden, ob durch sie der Krebs tatsächlich so weit zurückgeht, dass die Ärzte auf eine OP verzichten können, so Jungehülsing.

Noch ist die Behandlung mit der Strahlen- und Chemotherapie im Hals-Nasen-Ohren-Bereich nicht genügend erforscht. Denn erst in den 80er Jahren hatten HNO-Ärzte begonnen, ihre Krebspatienten mit diesen beiden Verfahren zu behandeln. „Wer damals auf Mediziner-Kongressen für die Chemotherapie am Kehlkopf eingetreten ist, der wurde niedergebrüllt“, erzählt Jungehülsing. Zwar wurden schon um 1942 die ersten Patienten mit Krebsmitteln, den Zytostatika behandelt. Doch die HNO-Ärzte wollten von dieser Methode lange nichts wissen. Offenbar befürchteten sie den Verlust eines Teils ihres Faches, vermutet Jungehülsing. Dabei sei Ausschließlichkeit in der Medizin ein Fehler, das habe die Erfahrung gezeigt.

Dennoch betrachteten auch heute noch manche seiner Kollegen die Radio- und Chemotherapie als „Teufelszeug“, so HNO-Chef Jungehülsing. Gerade weil Ärzte für ihre berufliche Karriere möglichst viele Operationen vorweisen müssen. Doch das könne nicht Ziel der Medizin sein, sagt Maschmeyer. Es gehe um die Patienten.

Juliane Wedemeyer

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