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„Eine Superrolle“. Elisabeth Kuck gibt den Kindern im Flüchtlingsheim Nachhilfestunden. Die pensionierte Lehrerin hilft seit drei Jahren ehrenamtlich.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Frau Schule Besuch von

Die pensionierte Grundschullehrerin Elisabeth Kuck hilft Kindern im Flüchtlingsheim bei den Hausaufgaben – und ist viel lockerer als ihre Kollegen

Von Eva Schmid

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Der Kinderraum im Keller des Flüchtlingsheims passt nicht zum Rest des eher spartanisch eingerichteten Hauses: Spiele stapeln sich in den Regalen, die Wände sind voller Kinderzeichnungen – der Raum ist warm, bunt und einladend.

An einem kleinen Tisch in der Mitte wird heute gestrickt. „Die Hausaufgaben sind alle schon erledigt“, erzählt Elisabeth Kuck mit einem gewissen Stolz. Die 68-jährige Rentnerin war früher Grundschullehrerin und kümmert sich jetzt um die Kinder im Flüchtlingsheim. „Ibrahim hat sich heute fest vorgenommen, einen Schal zu stricken.“ Der irakische Junge hat sogar die Stricknadeln seiner Mutter mitgebracht, um ans Werk zu gehen.

Zweimal in der Woche kommt die aus Essen zugezogene Elisabeth Kuck in den Kinderraum zur Hausaufgaben- und Nachhilfe. „Die Kinder stehen dann schon immer mit ihren Schulheften unter dem Arm Schlange“, erzählt sie. Für jedes Kind nimmt sie sich meist eine Stunde Zeit. Diese Eins-zu-eins-Betreuung sei ihr besonders wichtig: „Ich lege auch großen Wert darauf, dass hier dann wirklich Ruhe herrscht.“

Früher sei sie noch in die Wohnungen der Flüchtlinge gegangen, da es dort immer ein Zimmer gab, in das man sich zurückziehen konnte. „Mittlerweile sind die Wohnungen hier so überbelegt, da ist einfach kein Platz mehr“, berichtet die Ehrenamtlerin. Jetzt muss sie die Sechs- bis 13-Jährigen im Kinderraum empfangen.

Egal ob Mathe, Deutsch oder Geografie auf dem Lehrplan stehen, Elisabeth Kuck achtet bei ihrem Unterricht besonders auf einen Aspekt: „Es geht mir ums Sprechen – meine Nachhilfe besteht eigentlich zu 90 Prozent aus Sprechen.“ Auch deutsche Kinder hätten oftmals Probleme mit der Artikulation. Doch für Kinder, die zum Teil von ihren Flüchtlingserlebnissen traumatisiert sind, sei es noch schwieriger, sich in einer komplett fremden Sprache mitzuteilen. Die Schule könne aber kaum leisten, sich dafür noch extra Zeit zu nehmen. Kucks ehrenamtliche Arbeit füllt diese Lücke. „Die Kinder sprechen aber selten über ihre Erlebnisse von früher“, sagt sie gleich. Ab und an kommen die Erinnerungen hoch. An Erzählfragmenten wie „Wir mussten lange über die Berge laufen“ oder „der Großvater hat alle Schafe vor der Flucht verkauft“ erahne man die sorgenvolle Vergangenheit.

In ihrem Unterricht geht es auch darum, Begriffe abzuklären. „Selbst wenn Kinder die Worte perfekt aussprechen, heißt das nicht, dass sie wissen, was sie bedeuten.“ Ihre Arbeit sei eine gute Investition: „Es gibt mittlerweile viele Kinder hier, die wirklich toll Deutsch sprechen und viel Potenzial haben – das sind dann die Sternstunden an dieser Arbeit“, sagt die Helferin.

Seit drei Jahren unterstützt die ehemalige Lehrerin aus Essen die Kinder aus dem Flüchtlingsheim. Und nicht nur die: Zu zwei Kindern, die mittlerweile mit ihrer Familie aus dem Wohnheim ausgezogen sind, fährt sie quer durch die Stadt.

Angefangen hat es mit Isra, einem Mädchen aus dem Libanon. Bei einem Gespräch in der Friedenskirchengemeinde wurde dringend Nachhilfe für das Mädchen gesucht, das damals versetzungsgefährdet war. Sitzengeblieben ist sie dank Elisabeth Kuck nicht, nach dreijähriger Nachhilfe habe sie jetzt auch gute Noten, freut sich die Lehrerin.

„Im ersten Jahr hatte ich nur Isra, mittlerweile betreue ich in meinem dritten Jahr regelmäßig sieben Kinder“, berichtet sie. Es spreche sich unter den Kindern herum, dass sie von der Lehrerin Hilfe bekommen und vor allem, dass sie eigentlich ganz locker ist.

Sie hält sich an den Grundsatz des Hirnforschers Manfred Spitzer, erklärt sie: Und der besagt, dass Freude glücklich und Angst dumm mache. Wenn unter Angst oder Druck gelernt wird, dann merke sich das Gehirn die unangenehme Situation und rufe das ungern wieder auf. „Ich muss im Gegensatz zu Lehrern keinen Druck bei den Kindern machen – ich bin in einer Superrolle.“

Elisabeth Kuck hat für sich das perfekte Ehrenamt gefunden, da es auf ihrem Beruf aufbaut. Sie genießt es, verschiedene Kulturen kennenzulernen und mehr über Traditionen und kulinarische Genüsse zu erfahren. Anstrengend sei die Arbeit für sie nie. „Das Wichtigste ist, für die Kinder da zu sein – sich um sie zu kümmern.“

Dies gelte besonders dann, wenn sie durch ihre Flüchtlingserfahrungen traumatisiert sind. Aber meistens schweigen die Kinder oder erzählen ganz wenig darüber. Trotz ihrer Empathie und Sensibilität sieht Elisabeth Kuck sich aber nicht in der Rolle einer Psychologin. Sie ist ganz einfach, die sympathische Lehrerin im Flüchtlingsheim: „Die Eltern und Kinder vertrauen mir langsam, die wissen jetzt, die will uns nichts – sie ist kein Amt.“

Ein kleines Mädchen hat das aber noch nicht ganz mitgekriegt. Lachend erzählt Elisabeth Kuck, dass sie vor Kurzem im Flur des Wohnheims von dem gerade eingeschulten Mädchen mit einem herzlichen „Hallo liebe Schule“ begrüßt wurde.

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