Landeshauptstadt: Freie Bahn für Behinderte
Bei der Gestaltung der Gartenstadt ist Barrierefreiheit eigentlich nur Nebeneffekt. Aber was daraus entsteht, ist einzigartig
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„Wunderbar“, sagt Edith Hildebrand. Es ist eigentlich nicht die Art der 87-jährigen Dame, Dinge über den Klee zu loben. Aber der Umbau von Drewitz hat es aus ihrer Sicht verdient. Dabei war Hildebrand eine der Kritikerinnen des groß angelegten Projekts. Das koste zu viel, meinte sie früher. Soviel Geld könne man besser für etwas anderes aufbringen. „Aber jetzt bin ich ganz zufrieden.“ Seit zehn Jahren wohnt sie in Drewitz, ist auf einen Rollator angewiesen. Vorher habe sie in Potsdam-West gewohnt. Kein Vergleich sei das Laufen in Drewitz mit einem Rollator gegenüber anderen Ecken der Stadt, sagt sie. „Wenn das so stockert auf den Holperstraßen, tun abends einem die Arme weh.“ Früher ist Hildebrand gerade mal eine Straße weiter gekommen mit ihrem Rollator, jetzt nach dem Umbau läuft sie mit ihren Freundinnen durch den Park, eine ganze Straßenbahnhaltestelle weiter, bis zum Stadtteiltreff. Hier spielt sie einmal die Woche Karten. Sogar bis zum Stern-Center kommt sie inzwischen. Noch vor ein paar Jahren hätte sie den Weg über einen verwilderten Hang hinunter nehmen müssen.
Im Nachbarraum des Stadtteiltreffs in der Oskar-Meßter-Straße sitzt Carsten Hagenau über die Pläne von Drewitz gebeugt. Der Projektkoordinator der Gartenstadt zeigt auf große, in verschiedenen Farben eingerahmte Gebiete. Eines für Familien, ein anderes für Senioren. Die mit Abstand größte Umrandung ist grau. Das ist der Teil von Drewitz, der barrierefrei werden kann. Das heißt: behindertengerechtes Wohnen, Rampen, Fahrstühle. Aber eben nicht nur: „Es sind nicht nur die Wohnungen, sondern es soll ein ganzer barrierefreier öffentlicher Raum entstehen“, sagt Hagenau.
Seit 2009 arbeitet er mit seiner Firma Projektkommunikation zusammen mit der Architektin Pia von Zadow, der Pro Potsdam und der Stadt am Umbau des Plattenbauviertels. In einem langwierigen Werkstattverfahren sind zusammen mit den Bürgern Lösungen für Wohnungen und Plätze gefunden worden, für die die Architekten und Stadtplaner derzeit Preise abräumen. Die Barrierefreiheit ist dabei nicht Hauptziel, sondern eigentlich nur Nebeneffekt gewesen. Denn behindertengerecht zu bauen, ist schließlich baulicher Standard. Und doch ist das Drewitzer Ergebnis einzigartig.
Statt einzelner Treppenaufgänge führt eine breite Rampe seitlich auf die Ebene der Eingänge in dem sanierten Wohnblock in der Konrad-Wolf-Allee. Dort oben lässt sich leicht erhaben auf den Park schauen, aber auch direkt auf die Balkone der Mieter des Hochparterres. Die Mieter könnten sich daran stören, aber viele tun es auch nicht. Es sei nicht die reine Lehre der Gestaltung, sagt Hagenau, aber die einzige machbare Lösung gewesen, um mit einem Rollstuhl, Kinderwagen oder Rollator in die DDR-Plattenbauten zu gelangen. Für jeden Eingang eine Extra-Rampe zu bauen, wäre laut Hagenau schlicht unmöglich. Schließlich brauchen behindertengerechte Rampen viel Platz. Das Gelände aber vor den Häusern ist städtischer Grund. „Ein Monsteraufwand“, nennt es Hagenau, die Flächen von der Stadt zu kaufen.
Bislang sind 190 Wohnungen barrierefrei umgebaut worden, es sollen aber noch mehr werden. Auf der anderen Seite der Konrad-Wolf-Allee wartet der nächste Plattenbau auf die Sanierung. „Es gibt einen ganz klaren Bedarf nach solchen Wohnungen“, sagt Hagenau. Die bisher fertiggestellten seien alle vermietet. Wie viele Wohnungen die Pro Potsdam in den nächsten Jahren noch umbauen wird, ist allerdings noch unklar. „Das wird letztlich immer von der Finanzierung abhängen“, sagt Hagenau.
Barrierefreiheit heißt aber auch, andere Behindertengruppen bei der Gestaltung des Stadtteils zu berücksichtigen. Ein Blindenleitsystem durch den Park wurde gebaut – mit akustischen Ampeln und geriffeltem Bodenbelag als Signal vor den Fahrbahnübergängen. Auch muss die behindertengerechte Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr gegeben sein, mehr Plätze zum Ausruhen auf langen Wegstrecken gehören ebenfalls dazu. Ein öffentlicher Raum sei so in Drewitz entstanden, „vollgestopft mit sozialen Funktionen“, so Hagenau.
„Drewitz hat so gute Chancen, ein inklusiver Stadtteil zu werden“, sagt auch Kathleen Walter vom Verein Soziale Stadt. Nirgends seien die Voraussetzungen besser. Als Leiterin des Stadtteiltreffs Oskar kann sie die Barrierefreiheit in Drewitz nicht baulich vorantreiben. Stattdessen will sie den Inklusionsgedanken mit Inhalt füllen. „Wenn die Menschen mit Behinderung hier wohnen, wollen wir ihnen auch die Möglichkeit geben, an allen Aktivitäten teilzunehmen“, sagt Walter. Derzeit plant sie, mit dem Verein Lebenshilfe und anderen Kooperationspartnern bei der „Aktion Mensch“ gemeinsam Fördergelder zu beantragen. Ein Lauffest für alle schwebt ihr vor. Auch könnte auf einem der Sportplätze ein Rollstuhl-Test-Parcours entstehen.
Doch noch ist Inklusion auch in Drewitz Zukunftsmusik. Denn der Teufel steckt im Detail, wie Hagenau sagt. Etwa, wenn die Straßenbahn nicht barrierefrei ist und Edith Hildebrand dann 20 Minuten auf die nächste warten muss.
nbsp;Grit Weirauch
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