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Selbstständiger Typ. Alexander Schnieblich in seiner Wohnung am Schlaatz. Der Abiturient lebt allein und bekommt Schüler-Bafög. Die Wohnung hat er über das Sozialmanagement der Pro Potsdam bekommen.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Freiheit und Verantwortung

Der 18-jährige Alexander Schnieblich wohnt allein. Das hat er schon seit Jahren gelernt

Von Eva Schmid

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Ein großer grauer Wohnblock im Schlaatz: Im vierten Stock wohnt Alexander Schnieblich in einer Einzimmerwohnung. 35 Quadratmeter, kleine Küche, Bad, Balkon. Das Bett steht mitten im Raum, direkt neben dem Sofa. Alexander ist glücklich. Vor zwei Wochen hat er den Mietvertrag unterschrieben. Ab dem ersten Januar ist er Mieter seiner eigenen vier Wände. Mit 18 Jahren alleine zu wohnen ist zwar nicht ungewöhnlich, doch zwischen Alexander und seinen Altersgenossen gibt es einen Unterschied: Seine Freiheit hat er sich lang erkämpft, über zehn Jahre hat er Wohnen gelernt.

Mit acht Jahren kam er zur Evangelischen Jugendhilfe Geltow. Die Eltern hatten sich getrennt. Der Vater behielt das Sorgerecht für ihn und seine Schwester. Jedoch arbeitete er so viel, dass er mit den kleinen Kindern überfordert war.

Seither lebte Alexander mit anderen Jugendlichen in einer betreuten Wohngemeinschaft der Jugendhilfe. Seit anderthalb Jahren wohnt er nun alleine. Unterstützt wird er seit dieser Zeit von Renate Konrath, seiner Betreuerin aus der Jugendhilfe. Sie hilft ihm beim „Übergang in die wirtschaftliche Selbstständigkeit“, so der Wortlaut des nüchternen Amtsdeutsch. Renate Konrath spricht eher vom Wohnen lernen. Dazu gehören selbstständiges Aufstehen, Frühstück zubereiten, pünktlich in der Schule erscheinen, Einkaufen, mit den Finanzen haushalten, Miete pünktlich bezahlen, Hausaufgaben machen, Wäsche waschen – eben ein eigenständiges Leben führen.

Wenn sich Alexander mit seinen Mitschülern der elften Klasse an der Steuben-Gesamtschule vergleicht, merkt er schnell einen Unterschied: Das Hotel Mama und alle dazugehörigen Sicherheiten entfallen. „Eine eigene Wohnung zu haben ist schon schwieriger, als bei den Eltern zu wohnen. Aber das ist Freiheit. Und Freiheit muss nicht immer schick sein.“

Alexander ist selbstbewusst und wirkt sehr erwachsen. Seine Betreuerin, die sich um weitere vier Jugendliche kümmert, bezeichnet ihn als „kleine Ausnahme“. In der Potsdamer Wohngemeinschaft der Jugendhilfe in der Ricarda-Huch-Straße, die sie betreut, achte sie auf eine „jugendgerechte Ordnung“. Es müsse nicht alles blitzblank aufgeräumt sein, aber eine Grundordnung sollte schon herrschen. Die Einzimmerwohnung von Alexander ist absolut aufgeräumt. „So sieht es hier immer aus“, sagt Renate Konrath mit einem Lächeln. Ab und an kommt sie zu Besuch in den Schlaatz.

„Das mit dem alleine Wohnen und Ordnung halten kriege ich auf jeden Fall hin, aber bei den Ämtern werde ich schon noch Hilfe brauchen“, vermutet der 18-Jährige.

Das Thema Ämter ist für beide derzeit ein Reizwort. „Wir haben richtig um die Wohnung gekämpft“, sagt die gelernte Erzieherin. Meistens scheitere das selbstständige Wohnen an den Finanzen. Und in den letzten Monaten gab es für Alexander nur Hiobsbotschaften. Zum Ende dieses Jahres wird er nicht mehr vom Jugendamt unterstützt und eigentlich auch nicht mehr von der Evangelischen Jugendhilfe. Falls Alexander es wünscht, ist seine Betreuerin mit Rat und Hilfe für ihn da.

Um finanziell abgesichert zu sein, hat er Mitte des Jahres Schülerbafög beantragt. Von seinen Eltern musste er Formulare ausfüllen lassen. „Das dauerte ewig“, erinnert er sich. Dann hatte er Wohngeld beantragt – „das wurde abgelehnt“. „Das Jobcenter wollte den Fall auch noch nicht bearbeiten, bevor das Bafög-Amt einen endgültigen Bescheid erlassen hat“, erzählt die Betreuerin. Und als dann endlich klar war, dass Alexander monatlich 736 Euro zur Verfügung stehen, sagte der Vermieter, die Pro Potsdam, Nein. „Sie wollten mindestens das Dreifache der Miete als Einkommen“, so Konrath. Die Wohnung kostet 332 Euro warm.

„Unser letzter Ausweg war Herr Beermann“. Daniel Beermann ist bei der Pro Potsdam für das Sozialmanagement zuständig. Mit der Evangelischen Jugendhilfe Geltow und dem Diakonischen Werk hat er seit sieben Jahren Kooperationsverträge geschlossen, um sozial benachteiligte Personen mit Wohnraum zu versorgen. Diese Verträge sehen vor, dass soziale Träger Wohnraum anmieten und dort ihre Schützlinge betreuen.

„Wohnung ist zwar ein Primärbedürfnis, aber viele können es einfach nicht, das muss man dann lernen“, erklärt Beermann das Projekt „Wohnen lernen“. Nach etwa einem halben bis einem Jahr seien die Bewohner, neben Jugendlichen sind dies Haftentlassene oder ehemalige Obdachlose, dann so weit, selbst die Wohnung als Mieter zu übernehmen.

„Für Herrn Schnieblich bürgt keiner – wir müssen jetzt einfach vertrauen und seine Zahlungswilligkeit sehen“, so Beermann. Er versuche für die etwas weniger als 100 Wohnungen in Potsdam, die für die Kooperationen zur Verfügung stehen, immer eine Vermietung hinzubekommen.

Mit seiner Betreuerin hat Alexander nun einen Finanzplan aufgestellt, um die 736 Euro pro Monat so gut wie möglich aufzuteilen. „Früher habe ich mein Taschengeld zum Fenster rausgeschmissen. Jetzt ist die Miete natürlich am wichtigsten, am Essen kann ich vielleicht noch etwas sparen. Und ab und zu gönne ich mir auch was.“ Im Luxus lebt er nicht, das ist dem angehenden Abiturienten klar. Obwohl er sehr gerne kocht, will er mit Abitur keine Ausbildung zum Koch machen, sondern studieren. Welches Fach es werden soll, steht noch nicht fest, nur „irgendwas, mit dem man später mal viel Geld verdient“.

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