Von Gerold Paul: Freiheiten der Wende
Prof. Görtemaker eröffnete Hochschulgottesdienste
Stand:
Ohne akademische Verzögerung begann jüngst der erste von vier „Hochschulgottesdiensten“ im Wintersemester, eine Gemeinschaftsaktion der evangelischen, der katholischen und der Studentengemeinde, sowie des Lehrstuhls für Religionswissenschaft der Universität Potsdam. Die von allen Konfessionen gut und gern besuchte Veranstaltung in der Friedenskirche hat sich schon seit Jahren bewährt, auch ein Rabbiner konnte seine Gedanken bereits in diesem Rahmen reflektieren.
Eingeladen ist am jeweils monatsersten Sonntag jeder, der „über grundlegende Fragen des Lebens und der Religion“ nachdenken, und „betend Antworten auf diese Fragen“ finden möchte, Studenten wie Lehrende, konfessionell Interessierte aber auch die breite Öffentlichkeit. Die gottesdienstliche Form bleibt dabei gewahrt, allerdings wird größter Wert auf die ökumenische Idee gelegt. So führten diesmal die Liturgen Johann Ev. Hafner sowie Gemeindepädagoge und Studentenpfarrer Hans-Georg Baaske auf gut geistliche Art durch diese 60 Minuten, wobei man beim „Kerzenritus“ mit Weihrauch und Musik eingeladen war, dem lebendigen Gott seine persönlichen Wünsche und Hoffnungen direkt anzuvertrauen.
Für den akademischen Höhepunkt sollte der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker sorgen. Er hat sich über seine Kreise hinaus besonders um die Geschichte Deutschlands und der Bundesrepublik einen Namen gemacht. Wie sich die vier „Kurzvorlesungen“ bis Februar sämtlich unter dem ziemlich allgemeinen Thema „Freiheit“ versammeln, so stand Görtemakers Beitrag aus gegebenem Anlass unter dem Thema „Freiheit und Wende“. Der Anfang war mit Paulus richtig gut: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2 Kor. 3.17). Eine solche sei „das vorherrschende Gefühl beim Mauerfall“ gewesen, führte er aus, und meinte natürlich die bürgerlichen Freiheiten von Reise, Rede und Glauben zuerst. Dann schon die Frage: Was haben wir mit der Freiheit der Wende angefangen, ist im Kampf „um eine bessere Welt“ nicht längst wieder alles verspielt? Das „freie Europa“ war für ihn eine gute Frucht der unblutigen Wende, natürlich auch der Fall der Sowjetunion. Er erinnerte an die entscheidende Rolle von Michail Gorbatschow und meinte, Helmut Kohl hätte die Wende nicht beschleunigt. Dem DDR-Volk sprach er noch posthum ein „Recht auf Selbstbestimmung“ zu.
Auch was er sonst noch so sagte, klang teils merkwürdig, etwa der Satz, Nachkriegsdeutschland hätte von den Alliierten „eine zweite Chance“ bekommen, so dass es „nicht länger Außenseiter der Weltpolitik“ sei. Nett von den Siegern, aber wieso Außenseiter? Nach 1990, setzte er fort, sei das Leben in Freiheit zwar nicht einfacher geworden, doch gehe es „uns“ doch gut. Die „Vereinigungskrise“ zeige aus heutiger Sicht eher „Probleme des Übergangs“ an.
Allerdings verlor man dabei „das geistige Konzept“ aus den Augen: Unzufriedenen nütze auch soziale Sicherheit nichts! In Summa hätte die Einheit die Grundlagen für eine bessere Zukunft gelegt, er glaube an ein „menschenwürdiges Dasein“ in Freiheit. So viel Future angesichts der Krise der Sozialsysteme und der vielbemängelten Zweiklassengesellschaft? Für manch einen wäre „Freiheit oder Wende“ als Thema vielleicht treffender gewesen.
Der Potsdamer Hochschulgottesdienst findet jeweils am ersten Sonntag im Monat um 18 Uhr in der Friedenskirche (Park Sanssouci, Eingang Grünes Gitter) statt. Am 6. Dezember spricht Prof. em. Erhard Stölting über „Freiheit, Illusion und Gesellschaft“.
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: