Landeshauptstadt: Friedenssaal im Sozialbrennpunkt
Der sanierte Jugendklub 18 wird Anfang Oktober eingeweiht – und will eine Insel gegen Gewalt sein
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Am Stern – Die Jungs, die auf Provokationen aus waren? Die waren früher da. „Alk war meistens mit im Spiel“, sagt Victoria und meint die Situationen, wenn Gäste im Jugendclub 18 gewalttätig wurden oder andere bedrohten. Die 18-Jährige hält kurz inne. Jetzt, zwei bis drei Jahre später, sei die Situation völlig anders. „Hier ist es inzwischen angenehm, ohne Gewalt“, sagt sie. Bald können die Jugendlichen in dem schlicht wirkenden Flachbau in der Pietschkerstraße richtig feiern. Nach mehrjähriger Umbauzeit wird Anfang Oktober der Club 18 offiziell eingeweiht. Matthias Platzeck und Jann Jakobs sind eingeladen - um sich davon zu überzeugen, dass die Sanierung einen Jugendclub geschaffen hat, wie ihn Wohngebiete wie der Stern oder Drewitz dringend brauchen. Gegen soziale Verwahrlosung, gegen Tristesse, gegen Gewalt.
Denn natürlich kennen Victoria und ihre 17-jährige Freundin Beatrice die Klischees, die in den Köpfen vieler Potsdamer herumspuken, wenn sie an die Plattenbausiedlungen am Rande der Stadt denken. Doch sagen beide, dass in anderen Stadtteilen Potsdams - selbst in der Innenstadt - auch Gewaltverbrechen passieren können: Die tödliche Messerstecherei in der Charlottenstraße, der Angriff auf den Deutsch-Äthiopier Ermyas M. in Potsdam-West, der Tram-Überfall in der Friedrich-Ebert-Straße... „Gewalt hat nichts mit den Plattenbaugebieten zu tun“, sagt Beatrice. Doch ganz sicher sind sich die Beiden trotzdem nicht. Natürlich gäbe es viele „Rechte“ hier, sagt Beatrice: „Wegen den billigen Mieten.“ Und auch ihre Freundin Victoria läuft nachts nicht gern allein durch das Wohngebiet: „Man hat heutzutage immer Angst, dass etwas passiert“. Doch mit „ihrem“ Jugendclub wollen sie eine Art Zeichen dagegen setzen. Alkohol werde nur bei besonderen Feiern erlaubt. Und geraucht werde inzwischen nur noch draußen. „Klar haben einige wegen des Qualmverbots anfangs gemurrt, aber inzwischen halten sich alle daran“, sagt Victoria.
Ihnen zugehört hat Henry Berthold, einer der verantwortlichen Sozialarbeiter im Club 18. Er pflichtet den beiden bei, sagt aber auch, dass es „hier“ immer mehr „Problemfälle“ gäbe. Hartz IV, das Stichwort. „Wenn in den Familien immer weniger Geld da ist, müssen die Kinder oft die Härten der Politik ausbaden", hat Berthold beobachtet. Er kenne Kinder, die permanent Hunger hätten. Und welche, bei denen die Eltern nicht mehr auf die Hygiene achten würden: „Die stinken einfach." So steige natürlich auch die Gewaltbereitschaft - ein Kreislauf aus Not und frustrierter Aggression. Deshalb ärgert es ihn, dass „die Stadt“ eine der drei Sozialarbeiterstellen im Klub 18 ersatzlos auslaufen lassen will. Trotzdem betont er, sei er durch die „wunderbare“ Sanierung sehr zuversichtlich. Rund eine Million Euro sind in die Arbeiten geflossen, das Geld kam von dem Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt". In dem Klub stehen Jugendlichen jetzt unter anderem Probenräume für Bands, eine Werkstatt für Fahrradreparaturen oder Holzarbeiten sowie ein Internetcafe zur Verfügung, dazu ein Veranstaltungssaal und ein Billardraum.
Doch Berthold möchte mit dem neuen Club 18 nicht nur Jugendliche erreichen. Es soll ein wichtiger Treffpunkt für alle Bürger im Wohngebiet werden. Eine Salsa- und eine Samba-Trommler-Gruppe würden beispielsweise schon regelmäßig hier üben. „Wir vermieten unsere Räume auch für Familienfeiern“, sagt Berthold. Gerade fertig geworden ist der von ihm so genannte Friedenssaal: „Das ist der einzige runde Saal hier im Plattenbaugebiet“. Darin soll später ein runder Tisch stehen, wenn der Raum nicht für Tanzkurse benötigt wird. Berthold hofft, damit für bessere Lebensbedingungen am Stern zu sorgen. Denn Schönreden wollen er und die beiden Mädchen die Situation nicht. Denn wo sind beispielsweise solche Jugendliche hin, die noch vor zwei Jahren im Klub provozierten? An Imbissen treffen sie sich zum Beispiel, mutmaßt Berthold. Oder an Bushaltestellen: „Dort sitzen sie und trinken.“ Manchmal seien sogar Kinder dabei. Leute, die sich fallen gelassen haben, meint der Sozialarbeiter und sagt: „Das Leben ist hart geworden, manche sehen keine Chance mehr.“ Kein Wunder, wenn dann jemand zuschlage.
Henry Kramer
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