Links und rechts der Langen Brücke: Froh, aber nicht zufrieden
Guido Berg schätzt den von Potsdam errungenen Titel „familienfreundlichste Stadt Deutschland“ hoch ein – sieht aber noch ungelöste Probleme
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In den Zeiten des demografischen Wandels, der Überalterung der Bevölkerung, kann es gar keinen besseren Nachweis für Zukunftsfähigkeit geben: Potsdam ist laut der in dieser Woche veröffentlichten Prognos-Studie die familienfreundlichste Stadt in Deutschland. Dieser Titel ist für die Entwicklung der Stadt nicht hoch genug einzuschätzen und steht der von Potsdam verfehlten Titel „Kulturhauptstadt Europas“ und „Stadt der Wissenschaften“ nicht viel nach. Längst hat in Deutschland der „Kampf um die Kinder“ eingesetzt. Kommunen, in denen leere Kinderspielplätze deutliche Zeichen für die Überalterung sind, versuchen mit gezielten Angeboten wie preiswertes Bauland für junge Leute und somit potentielle Eltern attraktiv zu sein. Potsdam nun hat in diesem harten Wettbewerb, von dem längst nicht alle wissen, dass er ausgerufen ist, bereits jetzt die Nase vorn. Darin liegt eine große Chance für die Stadt, deren wirtschaftliche Potentiale insbesondere in den Bereichen Wissenschaft, wissenschaftsnahe Produktion, Kultur sowie Medien liegen. Hochgebildete, kreative Leute jedoch schätzen in zunehmendem Maße ein Umfeld, in dem Wohnen, Arbeiten und Leben nicht im Gegensatz zueinander stehen. Freilich besteht bei soviel Lob in der zu Stimmungsschwankungen neigenden Potsdamer Gesellschaft die Gefahr einsetzender Selbstzufriedenheit. Denn welch eine Karriere: Von der ostdeutschen „Jammerhauptstadt“ zu einem Gemeinwesen, das seine Hausaufgaben hinsichtlich Familienfreundlichkeit am besten erledigt hat. Schnell könnte nun übersehen werden, das auch Potsdam Probleme hat. Seit 1990 haben sich krasse soziale Unterschiede aufgebaut, längst ist es auch in Potsdam für die Entwicklung eines Kindes entscheidend, ob es arme oder reiche Eltern hat. Niemand sollte die Augen davor verschließen, dass es in der familienfreundlichsten Stadt der reichen Bundesrepublik Kinder gibt, die nicht ausreichend ernährt sind. Arbeiter-Wohlfahrt (AWO) und der EJF-Lazarus Gesellschaft bestätigen diesen unhaltbaren Zustand – sie gründeten die „Spirellibande“, in der sozial schwache Schüler kostenlos ein Mittagessen erhalten. Unerfüllt sind ferner die Forderungen von Eltern nach einer Übernahme von Schulbus-Kosten durch die Stadt. Eine weitere Baustelle – im wahrsten Sinne des Wortes – bleibt der Sanierungsstau bei Potsdams Kitas und Schulen.
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