Landeshauptstadt: Fröhliche Enten und traurige Lebkuchen
Im Lustgarten drehen sich die Karussells. Die Schausteller des Herbst-Rummels haben gemischte Gefühle
Stand:
Laute, rhythmische Musik dröhnt aus den Lautsprechern rund um den Breakdancer. Passend zu den straffen Beats dreht sich das Fahrgestell ruckartig mal in die eine und mal in die andere Richtung. In zwei Kabinen sitzen quietschende Teenagermädchen, die sich halb ängstlich, halb vergnügt an die Sicherheitsstangen klammern. Gleich nebenan dreht das Riesenrad fast unbesetzt seine bedächtigen Runden und auch die Imbissbuden stehen etwas einsam umher.
Auf dem Herbst-Rummel am Lustgarten geht es am Dienstagnachmittag eine Stunde nach der Eröffnung noch ruhig zu. Hier und da sieht man ein paar Jugendliche, auch eine Familie mit kleinen Kindern schlendert auf dem Platz umher. So richtige Rummelstimmung kommt da nicht auf – Grund zur Beunruhigung gibt es aber auch nicht, wie Thomas Müller, Vorsitzender des Brandenburgischen Schaustellerverbandes sagt. „Das ist um diese Zeit völlig normal“, so Müller, der selbst mehrere Stände auf dem Platz betreibt. „Es ist ja auch unter der Woche, am Wochenende ist um diese Zeit schon viel mehr los.“ Seit der Wendezeit ist Müller schon im Rummelgeschäft aktiv. Eigentlich ist er Diplomingenieur für Maschinenbau, aber wie viele auf dem Platz kam er durch die Familie zum Schaustellerberuf. „Ich habe es von meinen Eltern übernommen“, erzählt er. „Und ich bin sehr zufrieden damit.“ Bei der Frage, ob der Rummel seine beste Zeit hinter sich hat, schüttelt er entschieden den Kopf. „Natürlich gibt es auch mal schlechtere Zeiten, aber hier in Potsdam sind wir gerade sehr zufrieden“, so Müller. „Gerade jetzt im Herbst haben wir totales Glück mit dem Wetter, da kann man nicht meckern.“ Tatsächlich lugt in diesem Augenblick entgegen aller Wettervorhersagen die Sonne durch die Wolken. Müller lächelt. „Die Besucherzahlen hängen schon sehr stark vom Wetter ab“, sagt er. „Ein kleiner Regenschauer ist da nicht schlimm, aber Dauerregen ist halt blöd, da bleibt’s hier leer.“
Mit seiner Schießbude und mehreren Kindergeschäften ist der 60-Jährige eines von etwa 30 Unternehmen, die auf dem Herbst-Rummel vertreten sind. Zweimal im Jahr – im Frühling und im Herbst – gastiert der bunte Jahrmarkt für jeweils etwa zwei Wochen inmitten der Potsdamer Innenstadt. „Die Unternehmen bewerben sich immer in einer bestimmten Vorlaufzeit“, so Müller. „Wir achten dann schon immer darauf, dass eine bunte Mischung entsteht, bei der für jeden etwas dabei ist.“ Das langsamere Karussell mit Autos und Flugzeugen oder auch das sogenannte „Entenangeln“ sind dabei eher etwas für die kleinen Besucher. Laut Müller ist gerade Letzteres sehr beliebt, was eine Gruppe von Kindern, die konzentriert an dem Becken steht, bestätigt.
Auch am „Schlaraffenland“, einem Stand, der unter anderem die klassischen Lebkuchenherzen mit Schriftzug verkauft, tummeln sich ein paar Kinder. Betreiberin Karina Sperlich kann sich dem Optimismus von Thomas Müller nicht ganz anschließen. „Man hat schon ganz schön zu kämpfen“, sagt sie. Gerade in Potsdam merke man bei den Leuten eine gewisse Rummelmüdigkeit. Das liege natürlich auch an den steigenden Preisen in der gesamten Geschäftswelt. Da würde dann am ehesten am Spaß gespart, wie sie sagt. „Die goldenen Zeiten des Rummels sind einfach vorbei“, bestätigt auch ihre Kollegin Dagmar Fischer vom benachbarten „Steak House“. Die wären vor allem in den Jahren nach der Wende gewesen, als alles noch ganz neu war. Potsdam selbst sieht sie eher als Überbrückungsplatz an. „Die Leute hier sind ein komisches Völkchen“, sagt sie. „Da werden um sechs die Bürgersteige hochgeklappt, dabei ist der Platz schon so zentral.“ Auch sie räumt aber ein, dass es am Wochenende und an den Feiertagen ganz gut laufen würde. Ihren Beruf liebt sie trotz aller Missstände über alles. „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen“, sagt sie. „Das ist mein Leben.“
Besucher, die dem Kindesalter entwachsen sind, zieht es eher zum Breakdancer – und das in Scharen, wie Chef Christoph Meyer erzählt. „Es bewegen sich hier ja tatsächlich hauptsächlich Jugendliche“, so der 28-Jährige. „Und das ist natürlich genau unser Publikum.“ Seit acht Jahren betreibt er das Fahrgeschäft schon, das schon seit mehreren Generationen im Familienbesitz ist. Für ihn hat Potsdam mit dem Festplatz am Lustgarten den idealen Standort gefunden, was den Zulauf zum Rummel auch befördern würde.
Das sieht auch Ilona Lorenz so, die das große Riesenrad betreibt. „Ich bin sehr gerne hier“, sagt sie. „Wir haben ja damals vor 25 Jahren das Riesenrad in Potsdam eröffnet und seitdem läuft es super.“ Ihr Vorteil sei natürlich auch, dass sie die ganze Bandbreite der Besucher bedienen könnte, gibt sie zu. Genau in dem Moment wird sie von einem jungen Paar gefragt, ob das kleine Kind auch mitfahren dürfe. „Sehen Sie“, sagt sie und lacht dabei, „vom Säugling bis hin zur Oma, sie kommen alle zu mir.“ Dass sie ihren Job liebt, braucht sie kaum zu erklären, das sieht man ihr an. Warum das so ist, kann sie jedoch nur schwer sagen. „Ich bin da hineingeboren worden“, so Lorenz. „Also habe ich es wohl einfach im Blut.“ Wenn sie daran denkt, dass der Rummel eventuell irgendwann nicht mehr auf dem Festplatz stattfinden wird, wird sie ein wenig wehmütig. „Das ist schon eine traurige Vorstellung“, sagt sie. „Aber noch ist ja nichts entschieden.“
Im Zuge der Bürgerbeteiligung zur Gestaltung des Lustgartens war von den Bürgern die Aufenthaltsqualität auf dem mit Steinplatten befestigten Festplatz bemängelt worden. Der Baubeigeordnete Matthias Klipp äußerte außerdem Bedenken, ob „die kurzfristige Nutzung als Rummel einen so prominenten Platz in der Stadtmitte determinieren sollte“. Wie aber sowohl die Pro Potsdam als Sanierungsträger des Lustgartens als auch die Stadtverwaltung bestätigten, gäbe es noch keine konkreten Pläne, den Rummel umzulagern. „Das Diskussionsverfahren wird erst Ende 2015 beendet sein“, teilte Stadtsprecher Jan Brunzlow mit. „Demnach können wir derzeit weder sagen, in welchem Umfang der Lustgarten eventuell umgestaltet wird, noch ob die Frühlings- und Herbstfeste womöglich in einigen Jahren an einem anderen Standort stattfinden.“
Thomas Müller steht einer eventuellen Umgestaltung des Platzes eher gelassen gegenüber. „Unsere Fahrgestelle können auch auf Wiesen stehen, das ist gar kein Problem“, sagt er. „In Stralsund steht das Riesenrad sogar auf einer Sanddüne.“
Der Rummel ist täglich von 14 bis 22 Uhr geöffnet. Freitag und Samstag bis 23 Uhr. Der Mittwoch ist vergünstigter Familientag, am Donnerstag zahlen Damen jeden Alters nur einen Euro pro Fahrgeschäft.
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