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Landeshauptstadt: Fünf Stunden unterm Elektro-Messer

Darmkrebs-Kongress im Bergmann-Klinikum / Gastoperation durch Prof. Richard John Heald

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Leises Surren zeigt an, dass das elektrische Messer unter Hochspannung steht. An seiner zwei Millimeter breiten Spitze ist eine Art Lichtbogen sichtbar. Mit sicherer Hand führt Prof. Richard John Heald das Gerät Millimeter für Millimeter durch das Bauchgewebe einer 82-jährigen Patientin. Fünf Stunden vergehen, ehe das unförmige Corpus Delicti auf dem Operationstisch liegt: ein vom Krebs befallener Enddarm.

„Prof. Heald ist ein weltberühmter Chirurg, der nicht nur seine Technik immer weiter vervollkommnet, sondern auch für die Vorsorge unermüdlich tätig ist“, führt Prof. Hubertus J.C. Wenisch, Chefarzt des Zentrums für Chirurgie am Klinikum Ernst von Bergmann, den Gast aus Großbritannien ein. Über dreihundert Gastoperationen habe der wohl berühmteste Rektumchirurg Europas schon ausgeführt. Gestern setzte er mit einer weiteren Operation den Startpunkt für den Potsdamer Kongress über neueste Ergebnisse der Darmkrebsforschung.

Etwa vierzig Kongressteilnehmer hatten sich gegen 13 Uhr vor der großen Bildwand im Raum M 209 des Klinikums eingefunden, um dem Gastprofessor bei der Arbeit zuzuschauen. Unglaublich virtuos arbeiten die Hände von Prof. Heald und seines Assistenten Dr. Bodo Unger aus dem Potsdamer Klinikum. Es fließt wenig Blut, denn das elektrische Messer verschließt die Gefäße beim Schneiden. Nur selten kommen das traditionelle Skalpell und die Schere zum Einsatz und oft nur, nachdem mit einer elektrischen Zange zuvor das Gewebe verbrannt ist. Drei Stunden brauchen die Chirurgen, um den Enddarm freizulegen. Die Organe der Patientin, die sich vor drei Jahrzehnten einer Strahlenbehandlung unterziehen musste, sind voller Verwachsungen. An einer Stelle ist der Enddarm mit der Blase verwachsen. Beim Durchschneiden dieser Stelle entsteht in der Blase ein Loch. Kein Problem: Heald näht das lädierte helle Gewebe der Blase mit unglaublichem Geschick Nadel für Nadel und Faden für Faden zu.

Mit einer Totaloperation des Enddarms (Rektums), kann Heald eigentlich nicht zeigen, was er wirklich kann. Sein Name steht nämlich für eine Methode, welche die Hüllschichten des Darms bei einer Tumoroperation mit einbezieht. Damit erzielt er eine Verbesserung der Heilungsergebnisse plus Bewahrung der Lebensqualität. Dadurch konnte der Wiederaufbau des Tumors von dreißig Prozent auf unter zehn Prozent gesenkt werden. Healds Technik wenden daher auch die Potsdamer Chirurgen an. Dass er gestern eine Rektum-Exstirpation zeigte, spricht für seine Vielseitigkeit.

Darmkrebs ist die zweithäufigste Tumorart. Prof. Wenisch verweist darauf, dass in Deutschland, anders als in England, die Vorsorgeuntersuchung kostenlos ist, aber noch viel zu wenig in Anspruch genommen werde. Prof. Hartmut Lobeck, Institutsdirektor der Pathologie am Bergmann-Klinikum: „Immer wieder müssen Leute, die noch nie beim Arzt waren, wegen eines Rektumkarzinoms operiert werden.“ Der Pathologe formt mit Daumen und Zeigefinger ein Rund von der Größe eines Hühnereies: „Solche Tumoren würden bei einer funktionierenden Vorsorge niemals wachsen.“

Fünfzig bösartige Geschwülste im Enddarm werden pro Jahr am Klinikum Ernst von Bergmann entfernt, berichtet Dr. Bodo Unger. Von 1999 bis 2004 seien 353 Eingriffe dieser Art ausgeführt worden. Männer wären mit 60 Prozent häufiger betroffen als Frauen.

Die Erfahrung des Operateurs spielt bei derartig komplizierte Eingriffen eine entscheidende Rolle. Daher fühlt sich Prof. Heald mit seinen 69 Jahren der Aufgabe voll gewachsen. „Ältere Chirurgen operieren schneller und sicherer“, weiß Wenisch und der junge Oberarzt Frank Marusch stimmt ihm zu.

Das in Potsdam stattfindende Wochenend-Symposium stellt die Formen der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Fachrichtungen bei der Therapie und Diagnostik des Rektumkarzinoms dar. „Pathologen haben Empfehlungen gegeben wie die Operation ausgeführt werden muss, damit der Enddarm tumorfrei bleiben kann“, nennt Prof. Wenisch ein Beispiel für die Notwendigkeit der interdisziplinare Zusammenarbeit.

Günter Schenke

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