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Katrin Wartenberg.

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INTERVIEW: „Funktionale Analphabeten haben oft einen eingeweihten Unterstützer“

In Potsdam soll es rund 14 000 funktionale Analphabeten geben. Wie kommt diese Zahl zustande?

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In Potsdam soll es rund 14 000 funktionale Analphabeten geben. Wie kommt diese Zahl zustande?

Das ist eine Hochrechnung von der Zahl, die bundesweit als gesichert gilt. 14 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 65 Jahren – und damit 7,5 Millionen Menschen – sind danach von funktionalem Analphabetismus betroffen.

Was bedeutet das?

Das Fachwort beschreibt, dass die Lese- und Schreibkenntnisse nicht ausreichend sind. Man unterscheidet drei sogenannte Alpha-Levels: Die erste Gruppe kann keine Buchstaben schreiben, die zweite keine Wörter und die dritte weder schwierige Wörter noch längere Sätze oder Texte. Der Großteil funktionaler Analphabeten gehört zu diesem dritten Level. Beim Lesen verstehen sie manchmal nicht den Sinn von kurzen Texten – was mit dem langsamen Lesen zusammenhängt.

Wer ist davon betroffen?

Die Zielgruppe ist vom Alter her sehr heterogen. Vom Geschlecht her gibt es statistisch gesehen mehr Männer als Frauen, wie eine Studie der Uni Hamburg gezeigt hat. Die Hälfte der funktionalen Analphabeten sind erwerbstätig, aber meist in prekären Situationen oder in befristeten Anstellungen. Der Großteil hat einen Schulabschluss, die meisten an der Haupt- oder Förderschule.

Wie kommt es, dass man trotz Schulabschluss Analphabet wird?

Meist handelt es sich um eine Ursachenmischung. Einige unserer Kursteilnehmer waren im Kindesalter oft krank und haben in der Schule die Basiskenntnisse verpasst. Zu Hause hatten sie nicht genügend Unterstützung, weil die Eltern nicht gut lesen und schreiben konnten. Diese Kinder erleben Misserfolge und vermeiden dann Bücher und Texte. Die Kenntnisse, die man einmal hatte, können dann schrittweise verloren gehen.

Wie meistern und empfinden die Betroffenen ihren Alltag?

Die meisten haben mindestens einen Unterstützer, der eingeweiht ist und ihnen hilft, Formulare auszufüllen oder der ihnen etwas vorliest. Viele empfinden das als einschränkend, sie werden dadurch sehr abhängig. Oftmals suchen Menschen Lernangebote auf, weil ihnen diese Person weggebrochen ist.

Die Fragen stellte Isabel Fannrich-Lautenschläger

ZUR PERSON: Katrin Wartenberg (40) leitet seit 2015 das „Grundbildungszentrum“ an der VHS. Sie ist Lehrerin für Deutsch als Fremdsprache. 

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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