Von Erhart Hohenstein: Für Briefe von daheim
Vitrinenausstellung zum 80. Geburtstag des ehemaligen KGB-Häftlings Hermann Schlüter
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Am 22. April vollendet Hermann Schlüter, Seniorchef des gleichnamigen Heizungsbaubetriebs in der Geschwister- Scholl-Straße, sein 80. Lebensjahr. Aus Anlass dieses Jubiläums hat die Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemaliges KGB- Gefängnis Leistikowstraße am Sonnabend im Eingangsbereich eine Vitrinenausstellung eröffnet.
Hermann Schlüter ist nämlich einer der wenigen noch lebenden ehemaligen Häftlinge des Gefängnisses, in dem bis in die 1950er Jahre vornehmlich junge Menschen durch den sowjetischen Geheimdienst unter menschenunwürdigen Bedingungen eingekerkert, gefoltert und verhört wurden. Darauf folgten die Todesstrafe oder langjährige Deportation in ein Zwangsarbeitslager.
Zu Schlüter kamen die Häscher am 18. Dezember 1945. Wie für seine Schulkameraden Klaus Tauer, Klaus Eylert und Joachim Douglas war wohl der Anlass seiner Verhaftung, dass er den Russisch-Unterricht verweigert hatte. Daraus konstruierten die Vernehmer Sowjetfeindlichkeit und für die Urteilsfindung schließlich sogar eine Tätigkeit im Werwolf. So wurde eine Partisanenorganisation genannt, die von den Nazis zum Kampf gegen die Sieger rekrutiert werden sollte, aber nicht mehr wirksam wurde. Alle vier Schüler des heutigen Einstein-Gymnasiums wurden im Januar zum Tode verurteilt, die bereits über 16-jährigen Tauer, Eylert und Douglas im Frühjahr 1946 erschossen. Hermann Schlüter rettete seine Jugend das Leben, denn er war erst 15. Er erhielt 20 Jahre Freiheitsstrafe, die er zunächst in Torgau, dann im berüchtigten politischen Gefängnis Bautzen verbüßte.
Die Familie wusste nicht, wo Hermann war und ob er noch lebte. Der Vater, Franz Schlüter, richtete Briefe an sowjetische und ostdeutsche Behörden, suchte als gläubiger Katholik auch Unterstützung bei der Kirchenleitung – alles vergebens. Nur in den seltensten Fällen erhielt er überhaupt eine Antwort. In der Vitrinenausstellung wird dazu ein an die „Sowjetische Staatsanwalt Potsdam“ gerichtetes Schreiben Franz Schlüters gezeigt. Darin macht er geltend, dass laut Ankündigung des SED-Zentralsekretariats alle durch die Besatzungsmacht verhafteten Jugendlichen unter 16 Jahren freigelassen werden sollten.
Mit großer Freude nahm die Familie dann die erste Nachricht Hermanns aus Bautzen mit dem Datum vom 8. Mai 1949 auf. In der Vitrine zu sehen ist der Antwortbrief. Dass er noch lebe, habe Freudentränen ausgelöst, heißt es darin. Der Häftling bewahrte alle Briefe von daheim in einer Tasche auf, die er aus Resten eines Militärmantels und einer Zeltplane selbst genäht hatte. Auch diese Tasche hat er jetzt der Gedenkstätte für diese Ausstellung zur Verfügung gestellt.
Franz Schlüter vergaß trotz der persönlichen Freude über das Lebenszeichen seines Sohnes nicht, die Verhaftungswelle der Besatzungsmacht gegen Potsdamer Jugendliche weiter zu verfolgen und zu registrieren. Seiner bereits 30 Personen umfassenden Maschine geschriebenen Liste fügte er handschriftlich noch 27 Namen hinzu. Auch diese Aufzeichnung ist in der Gedenkstätte zu sehen. Peter Runge, als Schüler ebenfalls ein Opfer stalinistischen Terrors, hat später ermittelt, dass davon an mindestens 14 das Todesurteil vollstreckt worden ist, vier verstarben während der Haft in Bautzen oder Sachsenhausen.
1950 wurde Hermann Schlüter freigelassen und kehrte nach Potsdam zurück. Er lernte Heizungsbauer und nahm danach in diesem Fach ein Ingenieurstudium in Westberlin auf. Ab Anfang der 1960er Jahre führte er in Potsdam den elterlichen Handwerksbetrieb weiter. Hermann Schlüter engagiert sich in der Opfervereinigung stalinistisch Verfolgter und ist auch kurz vor seinem 80. Geburtstag bei guter Gesundheit.
Die Ausstellung kann während der Öffnungszeiten der Gedenkstätte sonnabends und sonntags jeweils von 11 bis 17 Uhr besichtigt werden, durch Gruppen nach Anmeldung auch mittwochs.
Erhart Hohenstein
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