Landeshauptstadt: Für immer weg vom „Fenster“
Hotel-Projekt zwischen Nuthestraße und Zentrum Ost scheiterte am Management
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Zwischen Nuthestraße und Zentrum Ost, unmittelbar hinter der Humboldtbrücke, sollte Mitte der 1990er Jahre ein großer Hotel- und Bürokomplex entstehen. „Potsdamer Fenster“ nannten ihn die potenziellen Bauherren wegen einer rechteckigen Aussparung in der Gebäudezeile, die einen Durchblick hinüber zum Flatowturm im Park Babelsberg erlaubte.
Das Bild von 1994 zeigt nach ausgedehnten Grünanlagen an der Humboldtbrücke einen zickzackförmigen Hoteltrakt, der zum Zentrum Ost hin durch fünfgeschossige Bürogebäude abgeschlossen wurde. Eine Art „Nutheschlange“, wie sie später als öffentlich geförderte Wohnbebauung am Rande des Zentrums Ost entstand. Damit der Riegel nicht allzu hermetisch wirkte, sahen die Architekten eben jenes große „Potsdamer Fenster“ vor, das eine gewisse optische Durchlässigkeit ermöglichte: Die Sicht zum Babelsberger Park war nicht völlig abgeschottet. Den Entwurf lieferte nach einem Architektenwettbewerb mit sieben Teilnehmern das (West-)Berliner Büro Müller-Rohde. Es war ein „dekonstruktivistischer“ Entwurf, der das Vorbild Daniel Libeskind erkennen lässt. Wegen der landschaftlichen Gegebenheiten war die Traufhöhe der Bauten auf 15 Meter beschränkt. Ebenfalls zwingend war ein Abstand von mindestens 50 Metern vom Havelufer. Jeder, der das Gelände zwischen dem ersten Wohn-Hochhaus der Wohnungsbaugenossenschaft „Karl Marx“ und der Nuthe-„Schnellstraße“ kannte, wusste: Es gehörte Mut dazu, an der verkehrsreichsten Straße Potsdams mit viertausend Fahrzeugen pro Stunde in den Spitzenzeiten ein solches Vorhaben in Angriff zu nehmen.
Das Projekt war innerhalb der Verwaltung anfangs umstritten. Im damaligen Dezernat für Stadtentwicklung, Wirtschaft und Gewerbe gab es eine Lobby für eine privatwirtschaftliche Nutzung im Dienstleistungsbereich. „Die öde Fläche schreit nach Neuordnung“, hieß es. Andere beharrten darauf, dass das städtische Grundstück für die „Schulversorgung“ reserviert bleiben müsse, also für Sport- und Spielanlagen der benachbarten Gesamtschule. „Die Entwicklung des Beherbergungsgewerbes ist wichtiger“, argumentierte der Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung Hans-Jürgen Wendl. Die prekäre Situation in der Hotellerie war allgemein bekannt, also gab Wendls Argument den Ausschlag und der Magistrat rang sich zu einem Hotelneubau durch. Doch woher einen Investor nehmen? Um ihn zu finden, wurde als erster Schritt eine Investoren-Ausschreibung auf den Weg gebracht. Zunächst ging es um den Betreiber und im zweiten Schritt um die Architektur.
Zehn Interessierte meldeten sich. Schließlich war es die Zeit der steuerlichen Sonderabschreibung Ost, die einem Investor, der etwas abzuschreiben hatte, die Bewerbung verhältnismäßig leicht machte. Den Zuschlag erhielt ein mittelständischer Unternehmer aus Westfalen, Wolfgang Böcker & Partner, der vor allem mit Erfahrungen im Wohnungsbau aufwarten konnte. An ihn verkaufte die Stadt das Grundstück mit der Auflage, einen beschränkten Architekturwettbewerb auf seine Kosten, aber gesteuert durch die Stadtverwaltung zu machen. Hierfür war Richard Röhrbein, Leiter des Stadtentwicklungsamtes, verantwortlich. Um die Sache zügig voranzubringen, musste mit einem „vorgezogenen Bebauungsplan“ Baurecht geschaffen werden. Hiermit beauftragte der Investor im Einvernehmen mit der Stadt das Berliner Büro „urbanistica“ mit Siegfried Pieper. In zahlreichen Sitzungen des Bauausschusses stellte dieser das Projekt vor, änderte den Plan immer wieder und wurde am Ende ein Opfer des Scheiterns des Investors. „Da ist viel Geld in den märkischen Sand gesetzt worden“, sagt Pieper heute. Auch das Geld seines Büros, denn vom Honorar für den Bebauungsplan habe er nicht eine Mark gesehen.
Nicht die Einwände der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten gegen den „Riegel“ vor dem Babelsberger Park, nicht die Bedenken im Bauausschuss und auch nicht das Auslaufen der steuerlichen Sonderausschreibungen führten letztlich zum Scheitern des Vorhabens. Sondern: Wolfgang Böcker meldete Insolvenz an. Er hatte sich unter anderem mit dem „Potsdamer Fenster“ verhoben. Ein schwerer Schlaganfall machte ihn zudem handlungsunfähig, „das war das endgültige Aus“, bemerkt Pieper.
Das Grundstück fiel an die Commerzbank Essen, die davon ausging, es gewinnbringend verwerten zu können. „Die haben falsch gepokert“, sagen Insider. Der letzte Versuch mit einer Wohnbebauung scheiterte. Bis heute ist auf dem Areal des „Potsdamer Fensters“ ein kleines Wäldchen gewachsen. Aus diesem dürfte in den nächsten Jahren ein stattlicher Wald werden, denn dass jemand in naher Zukunft das „Fenster“ noch einmal öffnet, ist unwahrscheinlich: Das Baurecht hat die Stadt aufgehoben, die Lärmemissionen haben eher zugenommen. Eine gestaltete Grünanlage wäre ein guter Ausweg, um die Fläche in die Uferkonzeption für die Allgemeinheit einzubinden. Doch wer kann das bezahlen?
Wer einen bisher nicht verwirklichten Architektur-Entwurf für die PNN-Serie „Luftschlösser“ vorschlagen möchte, meldet sich unter Tel.: (0331) 2376 134, Fax: (0331) 23 76 300 oder per E-mail an lokales.pnn@pnn.de.
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