zum Hauptinhalt
„Ich sage, meine Mutter starb an den Spätfolgen der Haft.“ Alexander Latotzky vor dem Ex-Gefängnis Leistikowstraße.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Geburtsort: Bautzen

Themenwoche in der Gedenkstätte Leistikowstraße zu Müttern und ihren Kindern in stalinistischer Haft

Stand:

Nauener Vorstadt - Geboren 1948 in Bautzen. Im Gefängnis Bautzen. Doch die Geschichte von Alexander Latotzky beginnt vorher, mit dem Schicksal seiner Mutter, ja auch mit dem Schicksal seiner Großmutter. 1946 findet Ursula Hoffmann, die Mutter des heute 64-Jährigen, in der Wohnung in Berlin-Schöneberg die eigene Mutter vergewaltigt und erwürgt vor, daneben schlafend zwei betrunkene sowjetische Soldaten. Ursula Hoffmann zeigt die Soldaten an. Latotzky ist sich sicher, dass das der Grund ist, warum seine Mutter während einer Reise in die sowjetische Besatzungszone 1946 verhaftet und wegen angeblicher „Agententätigkeit für eine ausländische Macht“ zu 15 Jahren Strafarbeitslager verhaftet wurde. Im Speziallager Nr. 10 verliebt sich Ursula Hoffmann in den Wächter Wladimir Brjutschkowski; ihr gemeinsames Kind Alexander kommt in Bautzen zur Welt, weitere Stationen von Mutter und Sohn sind das Speziallager Sachsenhausen und das Frauengefängnis Hoheneck. Dort trennen die Behörden Mutter und Kind. Alexander Latotzky, der heute den Nachnamen eines späteren Mannes seiner Mutter trägt, kommt in ein Heim.

Im Rahmen der Themenwoche „Frauen in stalinistischen Gefängnissen und Lagern“ der Gedenkstätte Leistikowstraße 1 will Alexander Latotzky am Dienstag, dem 19. Juni, ab 18 Uhr in der Leistikowstraße über seine Lebensgeschichte berichten. Zuvor wird der Dokumentarfilm „Kindheit hinter Stacheldraht“ gezeigt, in dem auch Latotzkys Leben beleuchtet wird, sagte gestern die Leiterin der Gedenkstätte Ehemaliges sowjetisches Geheimdienstgefängnis, Ines Reich, in einem Pressegespräch. Am 20. Juni wird Helga Gäbel von ihrer achtmonatigen Haft im Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße berichten. Helga Gäbel, geborene Kühn, war schwanger, als sie 1951 in der Leistikowstraße inhaftiert wurde. Ihre Tochter entband sie im Haftkrankenhaus Hoheneck.

Am 21. Juni gibt es in dem früheren Gefängnis in der Nauener Vorstadt ab 18 Uhr eine Sonderführung zum Thema „Frauenschicksale im Gefängnis Leistikowstraße“. Den Abschluss der Themenwoche bildet am 24. Juni um 11 Uhr ein Zeitzeugen-Gespräch mit Teilnehmern und Teilnehmerinnen des „Mutter-Kind-Treffens“ – Mütter und ihre in ostdeutschen Gefängnissen geborenen Kinder treffen sich seit 1997 regelmäßig an den Orten ihrer früheren Inhaftierung, in Bautzen, Torgau, Hoheneck, Fünfeichen, im „Roten Ochsen“ in Halle, 2012 in der Leistikowstraße. Moderiert wird das Zeitzeugengespräch durch Alexander Latotzky.

Wiedergesehen hat er seine Mutter erst als Neunjähriger in Westberlin. Sie war schon seit 1956 dort, er durfte erst ein Jahr später ausreisen. Die DDR-Behörden behielten ihn noch als „Faustpfand“, da sie hofften, seine Mutter würde als Agentin arbeiten, was sie nicht tat. Latotzky stand also als neunjähriger Junge aus dem Heim auf dem S-Bahnhof Berlin-Friedenau: „Eine kleine Frau kam heulend auf mich zu und sagte, sie sei meine Mutter. Ich habe sie gesiezt, aber sie war nett.“ 1967 ist Ursula Latotzky gestorben, mit 41 Jahren. Ihr Sohn: „Das Versorgungsamt sagt, es sei Krebs gewesen. Ich sage, sie starb an den Spätfolgen der Haft.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })