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Anstehen und Essen im 20-Minutentakt. Weil nur rund 100 Plätze in der Mensa vorhanden sind, dürfen zuerst die Kleinen essen, damit sie anschließend noch Zeit haben, draußen zu toben. Die Jugendlichen sind als letzte dran und mussten am gestrigen Mittwoch im Regen warten.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Gefährliches Trauerspiel

Seit Jahren ist die Essenssituation an der Voltaire-Gesamtschule katastrophal. Eine Sanierung ist bis 2017 nicht geplant. Nun kann die Schule nur noch auf die Feuerwehr hoffen, die die Sicherheitsgefahr in dem maroden DDR-Speisewürfel bescheinigt

Stand:

Unter dem Lagerraum der Küche hocken die Ratten. Manchmal, wenn Schulleiterin Karen Pölk abends durch die Mensa ihrer Voltaire-Schule geht, kann sie sie hören. Aber die Ratten sind nicht das Schlimmste. Der Vorrat wird halt woanders aufbewahrt. Sollte aber mal jemand vergessen, eine Lampe in der Aula auszuknipsen, wird es brenzlig. „Wenn hier ein Brand ausbricht, fackelt das alles gleich weg“, sagt Pölk und klopft auf die Sperrholzplatten an den Bühnenwänden. Feuermelder an der Decke sucht man vergeblich. Eher rieseln von oben die Reste der DDR-Mineralstoffplatten. Eigentlich müsste die Aula geschlossen werden, hatte ihr kürzlich der Arbeitsschutzbeauftragte des Staatlichen Schulamtes bei einer Begehung gesagt, so Pölk. Dann wird es aber noch schlimmer.

Seit 2007 ist der sogenannte Speisewürfel der Voltaire-Schule – die meist angewählte Gesamtschule der Landeshauptstadt – ein Sanierungsfall. Fast 1000 Kinder und Jugendliche von der fünften bis zur 13. Klasse gehen hier zur Schule. Die Mensa ist für gerade mal 150 Schüler vorgesehen, gegessen wird im Mehrschichtbetrieb. Seit Jahren spielt sich deswegen das gleiche Trauerspiel ab. Im ersten Akt schreibt die Elternkonferenz Briefe an den Oberbürgermeister, den Bildungsausschuss, die Fraktionen und verweist auf unhaltbare Zustände. Im zweiten Akt reagieren alle betroffen, sogar der Kommunale Immobilienservice, der für die Ausstattung der Schulen verantwortlich ist, schätzt die Essenssituation als „sehr schlecht“ ein. Im dritten Akt muss die Stadtverwaltung auf die klammen Kassen verweisen und die schlechte Nachricht überbringen. Saniert wird nicht – bis 2015 nicht und auch nicht bis 2017.

Am Dienstag dieser Woche im Bildungsausschuss nun eine Neuauflage des Dramas. Die Eltern haben wieder einen Brief geschrieben, diesmal auch an den Ministerpräsidenten und die Feuerwehr adressiert. Iris Feldmann, Vorsitzende der Elternkonferenz, trägt die oft wiederholten Klagen der Elternschaft vor: lange Schlangen vor Essensausgabe und Cafeteria, knappe Essenszeiten, Hektik, Stress, Aggressionen bei den Schülern. „Der Geduldsfaden ist nicht nur gespannt, er ist bei vielen Eltern gerissen“, sagt sie. Es müsse keine Luxussanierung sein, sondern die zeitnahe Herstellung von tragbaren Zuständen. Feldmann sagt aber auch: „Wir reden hier natürlich über Geld, aber wir reden auch über Verantwortung.“

Die Verantwortung des KIS und damit der Stadt sieht so aus: In den Bildungsausschuss ist Werkleiter Bernd Richter nicht gekommen und auch kein Vertreter, um Rede und Antwort zu stehen. Auch lässt der KIS die Aula, durch Schiebetüren vom Speiseraum getrennt und eigentlich für den Unterricht darstellendes Spiel gebraucht, seit Mai nicht mehr bestuhlen. Grund unklar. Bislang wurden so immerhin 80 Essensplätze zusätzlich geschaffen. Statt mehr wird es künftig sogar noch weniger Plätze geben: Das Schulamt hat angewiesen, den Fluchtweg in der Mensa zu verbreitern und dafür eine Reihe Tische und Stühle zu entfernen. Bleiben noch 110 Plätze für die rund 500 derzeit essenden Schüler.

„Wir können uns nicht leisten, dass Schüler gefährdet sind, weil Fluchtwege fehlen“, sagt Bildungsbeigeordnete Iris-Jana Magdowski (CDU) im Ausschuss. Das sehen die Eltern der Voltaire-Schule genauso. Um den Druck auf die Stadt zu erhöhen, wollen sie Geld für weitere Gutachter in die Hand nehmen, auch Schulleiterin Pölk will prüfen, einen Rechtsanwalt einzuschalten. Johannes Becker, Vater eines Kindes, der ebenfalls im Bildungsausschuss sprechen darf, sagt: „Hier haben wir es rechtlich mit einer höchst bedenklichen Situation zu tun.“ Es bestehe Gefahr im Verzug.

Immerhin: Dass ein Gefährdungspotenzial bestehe, sei für sie ein neuer Stand, räumt die Bildungsbeigeordnete Magdowski ein: „Brandschutz ist absolut vorrangig.“ Wenn es Sicherheitsaspekte gebe, schiebe sich auch die Sanierung der Mensa in der Prioritätenliste der Stadt nach oben. Schließlich habe der reibungslose Schulbetrieb oberste Priorität. Zuletzt hat deswegen die Stadt übrigens die Schule mit einer Amokanlage aufgerüstet. Jedes Klassenzimmer verfügt nun über einen gelben Notknopf. Wird er betätigt, gibt es Amokalarm und die Lehrer müssen alle Räume sofort verschließen. In 20 Räumen allerdings wurde zuvor das Schloss ausgebaut – aus brandschutztechnischen Gründen. „Die 350 000 Euro für die Anlage hätten wir lieber für die Mensa investiert“, sagt Schulleiterin Karen Pölk.

Laut Schulamt muss sofort die Feuerwehr die Mensa der Voltaire-Schule inspizieren. Im schlimmsten – oder vielleicht auch im besten Fall – muss daraufhin das Gebäude geschlossen werden. Denn sollte jemals ein Brand oder eine Panik in dem Speisewürfel ausbrechen, wäre das wohl der Tragödie letzter Akt.

Grit Weirauch

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