Landeshauptstadt: Gefangen in der „Umsetzungsfalle“?
Wie Kinder lernen können, gesünder zu leben: Ein bewegungsorientierter Hort macht es vor
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Zu dick, zu schlapp, zu unkonzentriert. Immer neue Studien belegen, dass Kinder unter Bewegungsmangel, unausgewogener Ernährung und psychischem Stress leiden. Das Problem ist klar umrissen, die Ursachen sind lange bekannt: Die Technisierung des Alltags, steigender Medienkonsum, ein Überangebot an Nahrungsmitteln, Reizüberflutung und Zeitdruck – all das wirkt sich eben nicht gerade förderlich auf die körperliche und geistige Entwicklung der Heranwachsenden aus.
Weil die gesundheitlichen Defizite immer deutlicher zutage treten, schießen Präventions- und Bewegungsprogramme wie Pilze aus dem Boden. Sie geben wichtige Impulse, packen das Problem aber oft nicht an der Wurzel.
Dr. Heike Zimmermann, Sportwissenschaftlerin an der Universität Potsdam, plädiert deshalb für eine breit angelegte Gesundheitsförderung in Kindertagesstätten und Schulen. Seit Jahren organisiert sie dort mit ihren Studenten Projekte, in denen Kinder, Eltern und Erzieher gemeinsam lernen können, ihren Alltag gesünder zu gestalten. Erst kürzlich luden die Studenten zum Aktionstag „Tierisch gesund“ in das Bürgerhaus am Schlaatz ein, das sie für Stunden in einen Bewegungsdschungel verwandelten. „Viele Kinder werden täglich zur Schule gefahren“, kritisiert Heike Zimmermann. „Sie kennen die Wege im Wohngebiet nicht, sind nie auf der Bordsteinkante balanciert oder über Hindernisse geklettert.“ Ein frühes Defizit, das die motorische, aber auch die geistige Entwicklung verzögern kann. Längst weiß man, dass die so genannten Überkreuzbewegungen, zum Beispiel von der rechten Hand zur linken Schulter oder von der linken Hand zum rechten Knie, die Vernetzung beider Gehirnhälften fördert.
Und natürlich wirkt sich jede Klettertour und jedes Ballspiel stärkend auf die Muskulatur aus. Nicht wenige Kinder hängen bereits in frühen Jahren durch, lümmeln in der Schulbank, können sich keine Unterrichtsstunde lang gerade halten. Für sie hatten die Studenten an ihrem „tierischen“ Aktionstag die Kinderrückenschule „Katzenbuckel“ eingerichtet.
Wer bei all dem Trubel Ruhe suchte, konnte unter fachkundiger Anleitung Entspannungstechniken lernen und „Träumen wie ein Faultier“. Auch hierfür gibt es inzwischen großen Bedarf, denn die psychischen Belastungen, die durch Reizüberflutung entstehen, führen bei Kindern zu Unausgeglichenheit und Konzentrationsstörungen. Ungesunde Kost setzt dem Ganzen die Krone auf.
„Im Grunde weiß jeder Erwachsene, dass er viel Obst und Gemüse essen sollte und sich mehr bewegen muss. Es dann auch konsequent zu tun und den Kindern vorzuleben, fällt aber doch schwerer als gedacht“, benennt Heike Zimmermann ein Problem, das der Jugendsoziologe Klaus Hurrelmann als „Umsetzungsfalle“ bezeichnet. Langfristig helfen hier nur Erziehungs- und Bildungskonzepte, die Bewegung und gesunde Ernährung in den Alltag von Schulen und Kindertagesstätten integrieren und auf diese Weise zur Normalität werden lassen.
Den praktischen Ansatz hierzu zeigt der vor wenigen Monaten eröffnete Hort am Bornstedter Schulplatz. Träger ist die zum Landessportbund gehörende LSB SportService Brandenburg gGmbH, die schon seit längerem auch eine Kindertagesstätte in Golm betreibt. „Es geht uns nicht darum, künftige Spitzensportler heranzuziehen“, erklärt die Hortleiterin Claudia Husche. „Vielmehr wollen wir dem natürlichen Bewegungsdrang der Kinder folgen und Angebote unterbreiten, bei denen sie geistiges und körperliches Lernen miteinander verknüpfen können.“ Beim Malen zum Beispiel muss hier niemand still am Tisch sitzen. „Manchmal ist es besser, das Blatt Papier auf den Boden zu legen und drum herum zu kriechen. Oder in Farbe getauchte Murmeln darüber zu rollen“, erzählt Kunsterzieherin Kerstin Reinsberg. Im Sommer will sie im Garten große Leinwände aufstellen, an denen man sich recken und strecken muss, um sie zu bemalen. Dass im Musikraum des Hortes niemand bewegungslos in der Ecke hockt, versteht sich von selbst. Nichts eignet sich besser als der Tanz, um Rhythmusgefühl und Körperbewusstsein zu entwickeln. Das Theaterspiel, das in einer Arbeitsgemeinschaft angeboten wird, hilft obendrein, Gestik und Sprache sinnvoll zu koordinieren.
Wie aber bringt der Hort Bewegung in naturwissenschaftliches Lernen? „Indem wir die Gangarten von Tieren, die wir zuvor im Buch angeschaut haben, selber nachstellen“, sagt Erzieherin Jenny Ziemann. „Oder im Garten Dinge sammeln, die wir später unter dem Mikroskop betrachten.“ Und dann gibt es ja auch noch die Bewegungsbaustelle mit schiefer Ebene, Sprungbrett und Trampolin, an denen die Kinder einfache physikalische Gesetzmäßigkeiten mit dem eigenen Körper überprüfen können.
Bei den Hausaufgaben allerdings wird auch im LSB-Hort absolutes Stillsitzen verordnet. Als Ausgleich dazu können sich die Kinder anschließend auf großzügigen Freiflächen austoben: draußen beim Ballspielen und auf der gerade fertiggestellten Inline-Skating-Bahn oder drinnen an der Kletterwand und beim Uni-Hockey im Bewegungsraum. Die Erzieher selbst haben eine spezielle Zusatzausbildung durchlaufen und beherrschen all diese Trend-Sportarten, von denen sie hoffen, dass die Kinder sie „mitnehmen“ in ihre Familien.
Überhaupt versteht sich der Hort auch als ein Treffpunkt für die Eltern, die sich hier Anregungen für eine bewegte Freizeitgestaltung und gesunde Ernährung in der Familie holen können. Eine große Küche, in der die Kinder täglich zum Vesperbrot leckere Gemüsedips und Quarkspeisen anrühren, lädt zum Kochen ein, und in der Cafeteria wird frisches Obst serviert. Normalerweise ist es so, dass Kinder die Essgewohnheiten ihrer Eltern übernehmen. Setzt sich das Konzept des bewegungs- und gesundheitsorientierten Horts durch, dann dürfte es bald andersherum sein.
Antje Horn-Conrad
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