Landeshauptstadt: Gegen den schlechten Ruf
Modell für Konflikte in Hochhäusern: Erste Mieterkonferenz am Schilfhof 20
Stand:
Am Schlaatz - Lärm mitten in der Nacht, fremdländische Kochgerüche, die durch das Haus wehen – aber auch ausgefallene Heizungen und für alte Menschen kaum schließbare Fenster: Die Liste der Mängel und Sorgen ist lang, die mehr als 50 Bewohner des Schilfhof 20 gestern Nachmittag vortragen. Versammelt haben sie sich im Haus der Generationen und Kulturen am Milanhorst, fünf Minuten von ihrem sechzehnstöckigen Hochhaus entfernt, in dem sich 92 Wohnungen drängen.
Das Anliegen der Mieter: Ihren Vermietern von der Gewoba die Probleme am Schilfhof schildern und Lösungen finden: Die erste Mieterkonferenz eines Potsdamer Hochhauses. „So etwas haben wir noch nicht gemacht“, sagt Gewoba-Chef Jörn-Michael Westphal, der von Anfang an als Moderator dabei ist. 16 solcher von hunderten Menschen bewohnter Häuser verwaltet die Gewoba in Potsdam.
Der Schilfhof 20 genießt dabei einen besonders schlechten Ruf – nicht nur, weil vor einem Monat eine Mutter mit ihrer Tochter in das Haus gelangte und von einem öffentlich zugänglichen Balkon in der 14. Etage in den Tod sprang. Zudem hatten die PNN in einem Beitrag im vergangenen November den Alltag in dem Anfang der 1980er errichteten Hochhaus zu schildern versucht: Tristesse, schäbige Hausflure, ab und an Vandalismus, latent ausländerfeindliche Nachbarschaftskonflikte in einem Haus mit Menschen aus mindestens fünf verschiedenen Nationen. Seit Dezember hat die Gewoba in den Abendstunden einen „Concierge“ im Haus sitzen, der Sicherheitsaufgaben erledigt. Dazu löste der PNN-Text auch Ärger aus, gerade im Haus – doch war er laut vieler Teilnehmer letztlich der Auslöser für die Konferenz. „Verstörung bringt uns vorwärts“, sagt dazu Friedrich Reinsch, dessen Haus der Generationen und Kulturen das Treffen wesentlich mit vorbereitete, welches unter einem bezeichnenden Motto stand: „Reden – Handeln – Wohlfühlen. Wir werden das 1. Haus am Platz.“
Das Treffen beginnt mit artikulierter Wut. Geschimpfe über die Geräusche aus der Gaststätte im Erdgeschoss. Über Ärger wegen der Müllentsorgung, weil nicht jeder im Haus trennt. Über den Fahrstuhl. Und darüber, dass manche Hausbewohner bei Beschwerden nicht reagieren, weil sie kein Deutsch verstehen. „Ventilfunktion“, sagt Initiator Reinsch dazu – als Übergang zu Arbeitsgruppen.
Deren Ergebnisse stehen nach mehr als drei Stunden fest, kleine und große. Mit dem Betreiber der Gaststätte soll es Gespräche geben. Beanstandete Heizungen und Fenster sollen von der Gewoba überprüft werden. Dreisprachige Müll-Aufkleber sollen allen Bewohnern helfen, richtig zu trennen. Und vielleicht gründet sich ein Mieterclub. „Wir können helfen, die Interessen im Haus zusammen zu bringen“, sagt Mieter Klaus Jorek, der den Club gründen will. Demnächst soll es ein erstes Treffen geben. Die aus Russland stammende Natallia Byshova will dabei helfen, „um besser die deutsche Sprache zu lernen“, sagt sie. Bereits beim Treffen signalisiert die Gewoba, bei einem fertigen Club-Konzept einen Raum zu stellen.
Lang tagt die Gruppe, bei der es um den „Concierge“-Dienstes geht: Einzelne Mieter wollen selbst eingebunden werden, als eine Art Rufbereitschaft, um die Einhaltung der Hausordnung zu überwachen. Bis Ende Juni will der Gewoba-Chef prüfen, ob eine Videokamera installiert werden kann – oder ob der Datenschutz stärker wiegt. Viel hat er gestern geredet, hat „sehr unterschiedliche Interessen“ unter den Mieter bemerkt. Und sagt danach: „Solche Treffen sind ein gutes Instrument, sollte es in anderen Hochhäusern auch solche Probleme geben.“ Die Schilfhofer wollen wieder im Oktober reden.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: