zum Hauptinhalt

SAMSTAGScocktail: Geheime Gesellschaft

Als der Krieg aus war und die Männer fehlten, tanzten für eine kurze Weile Frauen mit Frauen. Dieser unerhörte, irgendwie auch komische Anblick verschwand in den Jahren danach schnell.

Stand:

Als der Krieg aus war und die Männer fehlten, tanzten für eine kurze Weile Frauen mit Frauen. Dieser unerhörte, irgendwie auch komische Anblick verschwand in den Jahren danach schnell. Man kam wieder zu den alten Gewohnheiten zurück, der sogenannten Normalität, schließlich war die Situation aus der Not und nicht aus freier Entscheidung geboren. Dennoch ließ sich aus den Erzählungen mancher Frauen über diese kurze Episode der Geschichte manchmal ein heimliches Glück heraushören.

Heute tanzen hinter den für Männer verbotenen Türen des Fitnessstudios für Frauen ebenfalls Frauen mit Frauen. Nicht Walzer oder Foxtrott, auch nicht engumschlungen, aber doch miteinander. Wenn die Kursleiterin die Musik anstellt, Salsa, Samba, Merengue, Mambo oder Rumba, geht ein leichter Schauer durch den Raum, ein unausgesprochener Jubel, manchmal sichtbare, blanke Freude. Als hätten alle nach einem allzu langen Wochenende, einer allzu langen Nacht mit ihren Ehemännern, diesen Stoffeln, den ewig Abwesenden auf diesen erlösenden Moment gewartet. Den deutschen Beziehungskältewahn hinter sich lassen und endlich eintauchen in die Klänge von Orient, Karibik und Indien. In der Abgeschlossenheit des Fitnessstudios ist die Sehnsucht groß. Die Vernunft sagt, man sollte diese Welten als Frau besser meiden, ihre Borniertheit, ihr Machotum, ihre verschrobenen Auffassungen über Mann und Frau. Aber die Musik torpediert diese Vernunftsgedanken.

In Wahrheit geht es nicht darum, den Körper fit zu machen für irgendeinen Wettbewerb, der draußen tobt. Es geht nicht um den schönsten Leib. Die meisten Frauen hier sind über fünfzig. Sie tanzen, und es scheint, als hätten sie sich verabschiedet von der Vorstellung, sie täten es für irgendwen. Es ist beinahe eine Geheimgesellschaft, wie das türkische Frauenbad oder die strikt nach Männern und Frauen getrennten römischen Thermen im Altertum. Hier drinnen ist das Tanzen ganz Eigennutz, eine Huldigung, eine Erinnerung an die Sehnsucht. Es ist ein Ersatz für das wirkliche Tanzen, die fehlenden Männer, die fehlende Gelegenheit vielleicht. Glücklich und traurig zugleich ist der Tanz der Frauen, bei dem ein leichtes Bedauern unsichtbar mittanzt.

Unsere Autorin lebt in Potsdam. Zuletzt erschien von ihr das Buch „Selbstporträt mit Bonaparte“.

Julia Schoch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })