zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Geheimnisvoll

Selma Neumann stammte aus einer wohlhabenden Familie: Mit 81 Jahren wurde sie deportiert

Stand:

Selma Neumanns Grab ist leer. Eigentlich sollte sie hier liegen, auf dem jüdischen Friedhof am Pfingstberg, neben ihrem Mann. Ihr Name steht auf dem Grabstein. Aber der Platz darunter blieb leer. Denn die gebürtige Potsdamerin wurde im Alter von 81 Jahren nach Theresienstadt deportiert. Sie starb dort am 27. September 1942.

„Wahrscheinlich aus Erschöpfung und Verzweiflung“, sagt Sophie Schimmerohn. Die 18-Jährige hat sich mit drei Mitschülerinnen am Helmholtz-Gymnasium für das Stolperstein-Projekt auf die Suche nach Lebensspuren von Selma Neumann gemacht. Fündig wurden die Zwölftklässler nur in den Akten des Landeshauptarchivs. Die Versuche, Nachkommen zu finden, sind bisher gescheitert. „Selma Neumann bleibt geheimnisvoll“, sagt Sophie Schimmerohn. „Wir wissen nicht einmal, wie sie aussah“, erklärt ihre Mitschülerin Luisa Wosche.

Dabei war die Frau zu Lebzeiten sicher keine Unbekannte in Potsdam: Sie wurde am 1. Februar 1862 als Tochter der einflussreichen Familie Horrwitz geboren. Ihr Vater Adolf Horrwitz führte mit seinem Bruder James ein Bankhaus, der Familie gehörten mehrere Grundstücke in der Innenstadt. Selma heiratete den Arzt und Geburtshelfer Hermann Neumann, der Vorstandsmitglied und ärztlicher Ratgeber der Synagogengemeinde war. Selmas 1890 geborene Tochter Charlotte Luise Henriette wurde später die Ehefrau von Hermann Schreiber, dem letzten Potsdamer Rabbiner vor dem Holocaust.

Eine spannende Figur ist auch der 1911 geborene Enkel Selmas, Paul Schreiber: In der Chronik ihrer Schule fand Sophie Schimmerohn den Hinweis darauf, dass Paul Schreiber von 1920 bis 1929 am Viktoria-Gymnasium, wie das Helmholtz-Gymnasium damals hieß, gelernt hat. Ab 1934 leitete er die Potsdamer Gruppe des „Bundes deutsch-jüdischer Jugend“ und bereitete junge Menschen sprachlich und beruflich auf die Ausreise nach Palästina vor. Nach einem KZ-Aufenthalt in Sachsenhausen emigrierte der Jurist 1939 über Schweden in die USA.

Seine Großmutter Selma blieb in Potsdam. Als Hitler 1933 an die Macht kam, war sie bereits 73 Jahre alt, zwei Jahre später wurde sie Witwe. Vielleicht fehlte ihr der Mut für den Schritt ins Exil – vielleicht aber auch einfach die Vorstellungskraft dafür, dass man eine Frau in ihrem Alter wirklich noch aus der Stadt schaffen würde.

1939 musste sie ihr Haus für 100 000 Reichsmark an den Berliner Kinobesitzer Fritz Staar verkaufen. Eine Monatsmiete hatte Selma frei, danach bezahlte sie 110 Reichsmark pro Monat für die Wohnung in ihrem ehemaligen Haus. Drei Gemälde und 115 000 Reichsmark gibt Selma Neumann in der obligatorischen Vermögenserklärung kurz vor ihrer Deportation an. Um diesen Besitz wird es noch einen jahrelangen Streit und „ganz viele bürokratische Dokumente“ geben, wie Sophie Schimmerohn berichtet. Am 19. August 1942 wird Selma Neumann ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Sie überlebt nur wenige Wochen.

Am kommenden Donnerstag werden in Potsdam die ersten „Stolpersteine“ verlegt. Mit diesem Gedenk-Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig soll an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert werden - bundesweit bereits in mehr als 300 Orten. Die PNN stellen jeden Tag einen jüdischen Potsdamer vor, vor dessen letzter Wohnung bald ein „Stolperstein“ liegen wird.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })