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Homepage: Geister der Vergangenheit Die rätselhaften Früchte
des Osagedorns
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Im Botanischen Garten der Uni Potsdam gibt es zahlreiche exotische und heimische Pflanzen. In den PNN stellt Kustos Michael Burkart jeden Monat eine von ihnen vor.
Meriwether Lewis war der wichtigste Forschungsreisende der jungen USA. Thomas Jefferson, dritter Präsident der Vereinigten Staaten, beauftragte ihn 1803 mit einer Expedition zur Erforschung der riesigen Gebiete zwischen dem Mississippi und der Westküste, wo nur Indianerstämme lebten. Zusammen mit William Clark führte er knapp 50 Männer zum Pazifik und zurück, wobei sie in über zwei Jahren nur einen einzigen Mann verloren, vermutlich durch Blinddarmentzündung.
Noch vor Reisebeginn schickte Lewis Samen und Triebe eines merkwürdigen dornigen Baums nach Washington. Der Osagedorn (Maclura pomifera), benannt nach einem Indianerstamm, trägt apfelsinengroße, grüne Früchte, die ziemlich hart, faserig und wenig schmackhaft sind. Er erwies sich jedoch als äußerst nützliche Pflanze für Dornhecken und fand so im Laufe des 19. Jahrhunderts weite Verbreitung bis ins südöstliche Kanada. Das Holz ist sehr dauerhaft, und die Wurzelstöcke treiben immer wieder aus, wenn man alle 10 bis 20 Jahre die Stämme fällt und daraus Zaunpfosten macht, wie es bald üblich wurde. Nur die seltsamen Früchte blieben ein Rätsel – kein Wildtier fraß sie und breitete so die Samen aus, auch nicht in dem kleinen natürlichen Verbreitungsgebiet am Red River im Grenzbereich des heutigen Texas. Obwohl sie das Holz zur Herstellung vorzüglicher Bögen von höchster Elastizität sehr schätzten, taten auch die Indianer nichts für die Ausbreitung. Wozu also bildet der Osagedorn diese Früchte?
Womöglich sind sie eine Anpassung an ausgestorbene Tiere. Bis zum Ende der letzten Eiszeit gab es in Nordamerika zahlreiche Großsäuger, darunter allein dreierlei Elefanten, zwei Pferdearten sowie bodenlebende, tonnenschwere Riesenfaultiere. Ihr Verschwinden vor etwa 13 000 Jahren fällt zusammen mit der Einwanderung des Menschen aus Sibirien. Lediglich eine von zwei Bisonarten und einige Hirsche überstanden das Aussterben der großen Pflanzenfresser, die zuvor etliche Eis- und dazwischen liegende Warmzeiten wohlbehalten überlebt hatten.
Es ist plausibel, dass unter diesen tonnenschweren Vegetariern auch Liebhaber der grünen Kugelfrüchte waren. Ebenfalls plausibel ist, dass diese Tiere der Überjagung durch die frühen Indianer zum Opfer fielen. Auch wenn beides nicht erwiesen ist, wirft es doch ein ganz neues Licht auf das Verhältnis dieser Völker zu ihrer natürlichen Umgebung. Die „unberührte Wildnis“ wäre damit tatsächlich bereits lange vor Ankunft der Weißen maßgeblich durch menschliche Aktivitäten geprägt gewesen. Ein Indiz dafür ist die weite Verbreitung des Osagedorns in Nordamerika in den früheren Zwischeneiszeiten. Die rasante, künstliche Ausbreitung dieser Pflanze im 19. Jahrhundert durch weiße Siedler hätte dann nur nachgeholt, was die ausgerotteten Großsäuger nicht mehr leisten konnten.
Der Osagedorn ist Teil der Ausstellung „Aus dem merkwürdigen Leben der Pflanzen“ im Botanischen Garten, die noch viele weitere botanische Seltsamkeiten thematisiert. Am Sonntag, den 15. September um 15 Uhr, gibt es eine Führung mit Ewald Weber, dem Autor von „Das kleine Buch der botanischen Wunder“, das eine wesentliche Grundlage der Ausstellung war. Michael Burkart
Der traditionelle Pflanzenbasar findet bereits am Samstag, 14.9. ,von 10 bis 16 Uhr statt. Am 22.9. um 15 Uhr können „Fast vergessene Genüsse: Alte Wurzel- und Blattgemüse“ kennengelernt werden.
Michael Burkart
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