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Von Ariane Lemme: Gekaufte Liebe
Jugendliche überschulden sich aus den unterschiedlichsten Gründen – ein Fall aus Potsdam
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Insolvent, überschuldet, zahlungsunfähig: Das klingt nach etwas, das immer nur die anderen betrifft. Firmen gehen insolvent, Erwachsene vielleicht, aber Jugendliche? Die Potsdamerin Bettina Hein* ist 21 Jahre alt, macht eine Ausbildung zur Krankenschwester und hat Schulden. Nicht ein paar hundert Euro für einen Laptop oder neue Schuhe, sondern 8000 muss sie abbezahlen, an die Telefonanbieter Vodafone und „base“.
Das scheint zunächst ins Bild zu passen, das viele beim Thema Jugendinsolvenz aufrufen: Die können nicht mit Geld umgehen, glauben viele Erwachsene. Sie werden von den Telefonfirmen geködert und treiben ihre Handy-Rechnungen mit ungezügeltem SMS-Schreiben in die Höhe, fürchten Jugendschützer. Telefoniert aber hat Bettina nicht so besonders viel, auch besonders verantwortungslos war sie nicht. Sie war verliebt. Mit 19 lernte sie Andrej* kennen, über das Internet, bald darauf er zog zu ihr. Dass er illegal in Deutschland war, sagte er ihr nicht, erst einmal zumindest.
Bettina ist mit ihren Schulden kein Einzelfall, die Schutzgemeinschaft für Banken zählt Jugendliche zu der Bevölkerungsgruppe, deren Verschuldung am schnellsten wächst. Wie hoch ihr Anteil an den 101 102 neu angemeldeten Privatinsolvenzen ist, die das statistische Bundesamt im Jahr 2009 zählte, wird nicht gesondert erhoben. Bettina Heins Berliner Rechtsanwalt René Schmidt schätzt aber, dass mittlerweile zehn Prozent seiner Klienten jünger als 25 sind. Die Gründe, warum Jugendliche sich überschulden, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen der Erwachsenen, auch bei ihnen ist laut statistischem Bundesamt Arbeitslosigkeit der häufigste Auslöser. Nach Ansicht von René Schmidt kommt bei Jugendlichen oft hinzu, dass sie ihre Einkommenssituation falsch einschätzten. Gerade die Möglichkeit, in Raten zu zahlen, verlocke viele zu Anschaffungen, die sie sich eigentlich nicht leisten können. Und dann gibt es noch diejenigen, die sich aus emotionaler Verbundenheit mit Angehörigen oder Freunden heraus zu einer Unterschrift, etwa unter einen Pachtvertrag, überreden lassen und im Falle einer Insolvenz dann verantwortlich sind, erklärt René Schmidt.
Bettina Hein gehört zur letzten Gruppe. Als es mit Andrej nicht so gut lief, fing sie an, ihm Sachen zu kaufen. „Letztlich wollte ich mir seine Liebe erkaufen“, sagt sie heute. Er überredete sie, einen Vertrag für eine Partner-Card von Vodafone abzuschließen, damit sie günstiger miteinander telefonieren konnten. Aber Andrej telefonierte nicht nur mit ihr, sondern auch mit seiner Familie im Ausland: für 400 Euro. Bettina bat ihn daraufhin, einen Kredit über 3000 für sie aufzunehmen, ihr Dispo-Limit lag bei 1200 Euro. Von der Differenz kaufte sie Handys für Andrejs Verwandte in Serbien, Kleidung für ihn. Beim Anbieter „base“ schloss Bettina weitere Verträge ab, die Andrej weiterverkaufen wollte. Mit dem Geld, versprach er ihr, würden sie nach Serbien fliegen, zu seinen Verwandten. Dort wollten sie heiraten. Soweit kamen sie nicht, die Beziehung zu Andrej zerbrach, nicht allein an den Geldsorgen. Bettina wollte sich im Guten trennen und überließ ihm den „base“-Vertrag – in dem Glauben, dass er seine Handyrechnung selbst bezahlen würde. Bis sie eine Rechnung über 3000 Euro bekam. Erst dann, sagt sie, fingen ihre Probleme wirklich an. Sie ließ sich hängen, bezahlte auch alle anderen Rechnungen nicht mehr.
„Das erlebe ich ganz oft, nicht nur bei Jugendlichen“, sagt René Schmidt. Das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, den Forderungen der Gläubiger hilflos gegenüber zu stehen, lasse viele Leute lethargisch werden. „Ich wollte mich nicht mit den Schulden auseinandersetzen“, sagt Bettina. Irgendwann ging die Mutter mit ihr zu einem Anwalt. „Viele trauen sich erst durch die Unterstützung von Verwandten, den für sie peinlichen Schritt zu machen, zuzugeben, dass es nicht mehr weitergeht“, sagt Schmidt. Dabei ließe sich eine Insolvenz sogar oft vermeiden, wenn man sich frühzeitig rechtliche Hilfe holt. Eben weil widrige Lebensumstände auch ohne Selbstverschulden zur Zahlungsunfähigkeit führen können, wurde 1999 das Privatinsolvenzverfahren eingeführt. Der Anwalt prüft zunächst, ob eine außergerichtliches Schuldenbereinigung möglich ist. Erst wenn der Versuch zur Einigung scheitert, kann ein Insolvenzverfahren in Anspruch genommen werden. Der Schuldner muss dann mit einem Teil seines monatlichen Einkommens die Schulden begleichen, nach einer sechsjährigen Wohlverhaltensphase gelten die Restschulden als getilgt. Bettina bezahlt deshalb von ihrem Ausbildungsgehalt nicht nur Miete, Strom und Essen, sondern auch eine Rate von 160 Euro. In drei Jahren wird sie 8000 Euro Schulden abbezahlt haben.
*Namen von der Redaktion geändert
ein Fall aus Potsdam
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