Landeshauptstadt: Geklebte Erinnerung
Porzellanklinik Magdeburg machte in Potsdam Station – zum Einsammeln von Scherben
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Vorsichtig wickelt eine Babelsbergerin das in kariertem Geschirrtuch eingeschlagene Erinnerungsstück aus. Der bunten Sammeltasse fehlt der Henkel. Die über acht Jahrzehnte alte Tasse habe ihrer verstorbenen Tante aus dem Westen gehört, erzählt sie Thomas Meyer, Inhaber der Porzellanklinik Magdeburg, der gestern zur Reparaturannahme im Maggazino Leonardo im Stern-Center Station machte.
Mit Maßband und Xenon-Licht begutachtet der Fachmann den Schaden, schreibt kleine Zahlen auf einen Block. „Hier muss der Henkel mit Porzellanersatzmasse nachgebildet werden,“, erklärt Thomas Meyer der Kundin. Danach werde das gebrannte Material lasiert und angemalt. Insgesamt koste der neue Tassenhenkel 88 Euro. Die Babelsbergerin zahlt bereitwillig die Hälfte des Betrages an. Als sie vor Jahren mal einen anderen Porzellanspezialisten aufgesucht hatte, sollte die Sanierung des Erbstücks 250 D-Mark kosten. „Das war mir zu viel.“ Inzwischen aber drücke die Erinnerung an ihre Tante so sehr, dass ihr das Wert sei.
Thomas Meyer ist Kummerkasten für Scherbenhaufen. „Die meisten haben das Bedürfnis, mir die Geschichte zu den Gegenständen zu erzählen und oft auch, wie sie zu Bruch gingen“, sagt der Porzellandoktor, der vor fünf Jahren gemeinsam mit seiner Frau als Quereinsteiger in das Scherbengeschäft einstieg. Wie genau Porzellan oder auch verwandte Materialien wie Terracotta oder Alabaster geflickt werden, verrät er nicht. „Das sind Spezialtechniken“, die wie eine Geheimrezeptur nur unter Ihresgleichen weitergegeben würden. Er selbst habe sich einem Verbund angeschlossen, zu dem insgesamt sechs Porzellankliniken in der Bundesrepublik gehörten.
Bei besonders komplizierten Fällen frage man das Know-how der anderen auch ab, erklärt Meyer, der sich auch mit alten Reparaturtechniken beschäftigt hat. Dazu hat er jetzt sogar eine Ausstellung zusammengestellt: „Flick-Werk“ zeigt, wie beispielsweise Geschirrscherben mit Draht zusammengenäht oder eine abgebrochene Tülle mit einer Kupfermanchette wieder an der Kanne befestigt wurden. Die Exponate sind ab 12. September in Sachsen-Anhalt zu sehen. Das bislang älteste Stück in der Magdeburger Werkstatt war ein Kühlkrug aus dem 17. Jahrhundert, dem die Schnaupe fehlte. Vier bauchig verlaufende Röhren mündeten in einem Teufelskopf. Der Ausguss war abgebrochen und wurde nachgebildet. Auch ein Exponat des Landesmuseums Magdeburg wurde bereits von Thomas Meyer geklebt. Trotzdem sind die meisten seiner Kunden Privatleute, die wollen, dass ihr Geschirr wieder gebrauchsfähig ist.
„Bei den Tassen lohnt sich der Aufwand nicht“, ist der Geschäftsmann ehrlich und enttäuscht damit ein Ehepaar, das die drei Kaffeetassen mit Goldrand und unschönen Abplatzern und Rissen restauriert haben möchte. Das Service hätten sie vor 50 Jahren gekauft, sagt der Mann. „Nein, vor 30 Jahren“, widerspricht seine Frau. Jedenfalls seien damit schon viele Familienfeste gefeiert worden. Ob es denn vielleicht noch Altbestände aufzukaufen gebe, fragt die Kaffeetrinkerin. Auf das Aufspüren von so etwas sei seine Frau spezialisiert, erzählt Thomas Meyer. Die Chancen auf Wiederbeschaffung lägen allerdings bei nur 30 Prozent, sagt Thomas Meyer. Dennoch ist das Ehepaar entschlossen, die Suche in Auftrag zu geben.
Vorsichtig packt Thomas Meyer Stück um Stück ein – bruchsicher für den Transport in die Werkstatt. Im Oktober sei er wieder in Potsdam. Dann mit den reparierten Erinnerungen. Nicola Klusemann
Nicola Klusemann
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