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Aus dem GERICHTSSAAL: Geldstrafe für renitenten Demonstrierer

Anklage nach Beweis- aufnahme geschrumpft

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„Die politische Seite des Groß Glienicker Uferstreits interessiert mich nicht. Ich habe lediglich den strafrechtlichen Aspekt zu bewerten“, stoppt Amtsrichterin Birgit von Bülow den Redefluss des Angeklagten. Gerhard G.* aus Berlin, 72 Jahre alt, grauer Vollbart, schütteres Haar, eine modische Brille auf der Nase, wurmt die Beschneidung seines Spazierweges am Groß Glienicker See. Bislang demonstrierte der Rentner mit zahlreichen Gleichgesinnten friedlich gegen die teilweise Sperrung des ehemaligen Postenweges der NVA-Grenztruppen durch die Grundstückseigentümer. Am 6. April, dem Tag nach Ostermontag, soll Gerhard G. plötzlich zum Straftäter geworden sein. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, während der Proteste einen faustgroßen Betonbrocken gegen einen Wachschutzmitarbeiter geschleudert zu haben, der ein Grundstück in der Seepromenade bewachte – allerdings, ohne ihn zu treffen. Danach soll der renitente Senior samt Klappfahrrad über ein Absperrband gekraxelt sein. Wenig später – so die Anklage – soll Gerhard G. dermaßen am Maschendrahtzaun eines weiteren Anwesens der Seepromenade gerüttelt und geschüttelt haben, dass er dessen Verankerung beschädigte. Als Security-Mitarbeiter und eine Anwohnerin die Polizei alarmierten, habe der Angeklagte zunächst Fersengeld gegeben, sich dann vehement gegen die Feststellung seiner Personalien gewehrt, gar versucht, einen Ordnungshüter in den Arm zu beißen.

„Ich habe keinen Stein geworfen. Wenn ich einen geworfen hätte, wäre er bestimmt nicht zehn Meter entfernt von dem Wachmann eingeschlagen, wie es in der Anklage steht“, stellt der Angeklagte zu Prozessbeginn klar. „Ich bin nur ein bisschen mit dem Fahrrad herumgekurvt. Und kaputt gemacht habe ich auch nichts.“ Marco M.* (41), Mitarbeiter einer privaten Wachschutzfirma, berichtet hingegen im Zeugenstand: „Der Herr wollte durch die Absperrung. Ich sagte ihm er könne nicht hier lang. Er antwortete, ich werde ihn nicht aufhalten.“ Dann sei unvermittelt „irgend etwas“ in seine Richtung geflogen, jedoch „ein Stück weit entfernt“ aufgeschlagen. „Außer dem Angeklagten war keiner in der Nähe. Ich denke, dass er es war, hatte aber nicht den Eindruck, dass er mich treffen wollte“, so der Zeuge.

„Wir hatten unser Grundstück mit einem Bauzaun gesichert, der am Maschendrahtzaun befestigt war“, erzählt Claudia C.* (35) vor Gericht. Von Lärm aufmerksam geworden, habe sie einen älteren Herrn beobachtet, der den Bauzaun umwarf, danach das Grundstück betreten und sie beschimpft habe. „Ich machte Fotos und rief die Polizei“, so die dreifache Mutter. „Ich habe in der Vergangenheit 80 Strafanzeigen erstattet. Alle wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt, und wir wurden auf den Privatklageweg verwiesen. Muss erst etwas Schlimmes passieren?“, fragt sich die Zeugin.

Ob der Angeklagte ihn tatsächlich beißen wollte, vermag der Polizeibeamte Karsten K.* (43) nicht mehr zu sagen. „Auf alle Fälle war er kindlich-bockig und hat sich in Rage geschrien.“ „Sie haben mich mit den Kopf in den Sand gedrückt. Ich habe keine Luft mehr bekommen“, kontert der bereits wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt Vorbelastete. Gestern wurde er erneut wegen dieses Straftatbestandes verurteilt, muss 1500 Euro Strafe zahlen. Die Anklagepunkte Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung und versuchte gefährliche Körperverletzung wurden wegen Geringfügigkeit eingestellt. (*Namen geändert.) Hoh.

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