DICHTER Dran: Gemeinsam sind wir stark
Ich war zum ersten Mal in einer Tierklinik. Sie sieht aus wie eine normale Klinik.
Stand:
Ich war zum ersten Mal in einer Tierklinik. Sie sieht aus wie eine normale Klinik. Es gibt Behandlungszimmer, Röntgenzimmer, Krankenakten und eine Anmeldung. Nur der Geruch im Wartezimmer ist etwas strenger. Die Köpfe der Patienten stecken in weißen offenen Röhren, andere liegen zusammengerollt in bunten Plastikkisten, aus dem ersten Stock dringt ein Heulen.
Die Klinik liegt am Wildpark. Eine Hirsch-Aktie hängt gerahmt an der Wand hinter der Anmeldung. Sie erinnert an die Zeit, als der Kaiserliche Jagdtross (Kaiser Wilhelm I., Kaiser Friedrich III. und Kaiser Wilhelm II.) hier weiße Edelhirsche zur Strecke brachte. Vielleicht wurde die Tierklinik ausgerechnet an diesem Ort eröffnet, um am kollektiven Gewissen zu arbeiten; mit jedem Tier, das gerettet wird, wird es ein bisschen weniger schlecht. Ich war hier, weil mein Kater angefangen hatte zu würgen.
Es war der Tag, an dem Washington 30 Millionen Dollar für das Aufspüren von Boden-Luft-Raketen aus Libyen ausgesetzt hatte. Mein Kater saß da und verrenkte sich den Hals, als versuche er, eine tiefsitzende Gräte loszuwerden. Erst im Warteraum der Tierklinik hörte er damit auf. Er hockte still in seiner Tragetasche. Neben ihm wartete eine goldbraune Katze. Die Angehörige sprach leise mit ihr. Es ging darum, jetzt nicht im Stich gelassen zu werden. Zwei Männer hinter mir unterhielten sich mit ihren Hunden. „Keine Angst, Monsieur“, sagte der eine, „hier sind wir sicher“. Als eine Schwester eine Kiste hereintrug, in der ein Papagei saß, ging ein Mann, der bisher mit geschlossenen Augen an der Wand gelehnt hatte, vor der Kiste auf die Knie. Er legte den Kopf schräg (nicht der Papagei) und klappte seinen Mund im schnellen Rhythmus auf- und zu. Der Vogel schien ihn zu verstehen. Er öffnete seine Flügel wie zur Umarmung, der Mann entspannte sich.
„Geht es Ihnen gut?“, fragte der behandelnde Arzt, nachdem er meinen Kater aufgerufen und ihn abgetastet hatte. - „Mir?“ - „Zeigen Sie mal.“ Er griff an meinen Kiefer und bog mir den Mund auf. „Nervös?“ Er maß meinen Puls. Dann gab er mir ein Röhrchen. „Nehmen Sie das zur Beruhigung. Und legen Sie sich ein bisschen hin. Ihr Kater ist kerngesund.“
Unsere Autorin Antje Rávic Strubel lebt und arbeitet als Schriftstellerin und Übersetzerin in Potsdam. Für ihren 2007 erschienen Roman „Kältere Schichten der Luft“ erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.
Antje Rávic Strubel
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: