Landeshauptstadt: Generationskuchen mit Goldkrokant
Hortkinder haben einer 95-Jährigen eine königliche Torte gebacken: Einen Frankfurter Kranz
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„Zwei gestistrichene Teelöffel Backpulver“, liest der siebenjährige Matthes ungläubig eine Zeile im Rezept. „Das muss man abstreichen – ohne Berg drauf“, erklärt Sozialarbeiterin Ulrike Thieme dem jungen Bäckerlehrling. Und bemerkt lachend: „Ganz schön kompliziert, was sich Dr. Oetker da ausgedacht hat.“
Die fünf Hortkinder aus der AWO-Einrichtung „Havelsprotte“ hatten sich am gestrigen Dienstagvormittag ohnehin keine einfache Aufgabe gestellt. Sie wollten Erna Weeke, die gestern das 95. Lebensjahr erreichte, ihren einzigen Geburtstagswunsch erfüllen: Nämlich einen selbst gebackenen Frankfurter Kranz. Das Rezept hatte eine Mitbewohnerin von Erna Weeke im Altenheim Kursana Domizil Potsdam aus ihrem Dr. Oetker-Kochbuch von 1957 abgeschrieben.
Das komplizierte Backwerk aus Biskuit, Buttercreme und aufwendiger Verzierung gehöre zur Königsdisziplin der Backkunst, sagt Elke Schnarr. Seit geraumer Zeit sammelt die Journalistin gemeinsam mit Kollegen Koch- und Backrezepte aus den Kriegs- und Nachkriegsjahren. Am Ende soll das Projekt „Lirum, Larum, Löffelstiel, was Oma kocht, das kost“ nicht viel“ in einem Buch münden. Zuvor allerdings müssen alle Anleitungen nachgekocht werden. Vom Frankfurter Kranz hat Elke Schnarr alleine sechs Versionen der Zubereitung. Schwer vorstellbar, dass in Zeiten des Mangels mit so vielen Eiern und Butter gebacken wurde. „Gerade in ländlichen Gegenden waren auch im Krieg Tierprodukte reichlich vorhanden“, erzählt Elke Schnarr von ihren Recherche-Ergebnissen. Auch die gestrige Jubilarin hatte immer an der Quelle gesessen. Über 50 Jahre arbeitete Erna Weeke im Lebensmittel- und Kolonialwarenladen im Heidereiterweg 1 in der Siedlung Eigenheim. Das Geschäft hatten ihre Eltern zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Potsdam gegründet. An ihrem Geburtstag habe sie sich immer „nach Ladenschluss“ noch in die Küche gestellt und einen Frankfurter Kranz gebacken – zur Belohnung.
Die Tortenspezialität aus Frankfurt am Main, die mit ihrem goldenen Krokantüberzug und den Kirschen einer Krone ähnele, soll gleichsam die Krönungsstadt symbolisieren. Zweimal müsse der Kranz durchgeschnitten werden, gibt die 95-Jährige Anweisung, während sie mit ihrem Rollator den Tisch umkreist, an dem Erzieherinnen und Kinder die Mandeln schälen. Aaron und Paul hocken wie gebannt vor dem Herd und schauen zu, wie die 200 Grad im Ofen den Biskuitteig wachsen lassen. „Das sieht ja aus, wie Vanillepudding“, kommentiert Paula ihren Blick in die Rührschüssel, in der Hortnerin Sylvia Baltuttis die Buttercreme schlägt. Mit ausgestrecktem Zeigefinger fährt die Siebenjährige in einem unbeobachteten Moment den Schüsselrand entlang und lässt die sattgelbe Masse in ihrem Schleckermaul verschwinden.
Bei dem generationsübergreifenden Kuchenbacken allein solle es nicht bleiben, fasst Hort-Erzieherin Antje Koellmann einen Entschluss. Sie bemühe sich schon eine ganze Weile um einen Kontakt mit einem Altenheim, erzählt sie. Das Kranzbacken sei nun der erste Kontakt zu Kursana gewesen. „Daraus kann mehr werden“, sagt auch Marianne Göttlicher, Direktorin im Domizil Potsdam. Man wolle aber nicht nur an Feiertagen herkommen und ein paar Lieder vorsingen, sagt Antje Koellmann. Sie stelle sich vielmehr gemeinsame Aktivitäten vor, bei denen sich Alt und Jung gegenseitig bereichern sollen. Dann geht es nicht nur um Back-, sondern auch um Lebensrezepte.
Nicola Klusemann
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