Landeshauptstadt: Genossenschaft mit Geschichte
Erst kamen die Russen, dann die Stasi: Gewoba Babelsberg wird heute 80
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Babelsberg – „Schornstein-Siedlung“ lautete lange Zeit der volkstümliche Name für die zwei- und dreigeschossigen Wohnblocks in der Paul-Neumann-Straße. Und das nicht etwa, weil die Häuser mit vielen Schornsteinen ausgestattet waren. Im Gegenteil. Für die Wohnungen rauchte ein einziger langer Schornstein des eigens errichteten Heiz- und Waschhauses. Die 1928 auf Initiative des SPD-Magistrats gegründete Gemeinnützige Wohnungsbaugenossenschaft (Gewoba) verfügte über die erste Wohnanlage Potsdams mit einer zentralen Heiz- und Warmwasseranlage. Heute feiert die Gewoba ihr 80-jähriges Bestehen.
Die Häuser mit 350 Wohnungen nach den Plänen von Willi Ludewig sind bis heute eine architektonische Augenweide und es ist schwer vorstellbar, dass sie es in hundert Jahren nicht mehr sein sollten. Die 80-jährige Gewoba hat nach eigener Überzeugung eine gute Zukunft. In der zum Jubiläum erschienenen Festschrift heißt es dazu: „In die Zukunft kann man nicht schauen. Was man aber mit Sicherheit annehmen kann: Die Gewoba wird auch in Zukunft ein sicheres und solides Unternehmen sein. Nichts deutet darauf hin, dass es anders werden könnte.“ Ein ähnliches Schicksal wie der kleinen Genossenschaft „Vaterland“, die von der größeren PWG 1956 geschluckt wurde, dürfte demnach nicht in Sicht sein. Die Gewoba gehört zum Arbeitskreis Stadtspuren, einer Gemeinschaft Potsdamer der Wohnungsunternehmen mit insgesamt 35 000 Wohnungen. In diesem Verbund fühle man sich stärker als eine Genossenschaft mit 350 Wohnungen, heißt es.
Rückblickend grenzt es an ein Wunder, dass die Gewoba im 80. Jahr ihres Bestehens so gut da steht. Zwar verschonte der Krieg die neu gebauten Häuser weitgehend, doch nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands beschlagnahmten die Russen mehr als 200 Wohnungen. Hals über Kopf mussten die Bewohner raus aus den Häusern. Im harten Winter 1945 ging es um das nackte Überleben. Das Heizhaus spendete nur Wärme für die sowjetischen Besatzer; die Genossenschaftler behalfen sich mit eisernen Öfen. Im August 1952 gaben die Russen alle beschlagnahmten Wohnungen zurück, aber nicht an die Gewoba, sondern an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS). Erst im Winter 1959/60 gelang es, die Fernwärme des Heizhauses wieder in Betrieb zu nehmen, warmes Wasser gab es sogar erst wieder 1976.
Ähnlich aufregende Monate wie nach dem Zusammenbruch 1945 brachte die Vereinigung Deutschlands 1990. Die Gewoba wurde wieder eigenständig. Die Herrschaft des MfS über einen Großteil der Wohnungen hatte ein Ende. Die in den von der Staatssicherheit vergebenen 128 Wohnungen lebenden Bewohner konnten Genossenschaftsanteile erwerben und Mitglieder werden. Im Rückblick heißt es: „Wer sich an die hitzige Stimmung in jenen ersten Monaten des Jahres 1990 erinnert, kann sich vorstellen, dass sich Vorstand und Aufsichtsrat diese Entscheidung nicht leicht gemacht hatten. Umso mehr ist sie als eine humane und demokratische Entscheidung in einer schwierigen Zeit zu wertschätzen.“
Die Zeit nach der Wende war eine Aufbauzeit. Bis Ende 1997 steckte die Gewoba 19 Millionen D-Mark in die Modernisierung und Instandsetzung. Über fünf Millionen Euro kamen nach der Abschaffung der D-Mark hinzu. Die Anstrengung hat sich gelohnt: Die Gewoba-Wohnanlage gehört heute zu den schönsten in Potsdam. Günter Schenke
Günter Schenke
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