Landeshauptstadt: Gerangel um Nutzung der Angerkirche
Vertrag zwischen Verein und evangelischer Kirche vor dem Abschluss / Bürgerhaus und Standesamt
Stand:
Babelsberg - Nach dem Einbau der Empore ist die Alte Neuendorfer Kirche im Wesentlichen wieder hergestellt. Diesen Umstand nutzte der Förderverein „Alte Neuendorfer Kirche und Neuendorfer Anger e.V.“ am Sonnabend zu einem Einweihungsfest.
Vereinsvorsitzender Andreas Kitschke sprach in seiner Festrede von „Verwirrungen“, die wegen der Nutzung als Standesamt aufgetreten seien. Am Eingang verkündet ein Messingschild: „Alte Neuendorfer Kirche - Standesamt Potsdam - Eheschließungsraum“.
In der von über 130 Firmen wieder hergestellten Kirche würden „keine Kasualien“, also kirchliche Amtshandlungen wie Trauungen und Taufen, stattfinden, erklärte Kitschke. Die standesamtliche Trauung sei kein Gegensatz zur kirchlichen Trauung, sondern die Voraussetzung für diese. Außerdem brauche der Verein die daraus erzielten Einnahmen. „Vielleicht eröffnen sich an dieser Stelle ganz neue Wege des Miteinanders“, so der Vereinsvorsitzende. Die Nutzungsvereinbarung zwischen Verein, der evangelischer Kirche und dem Konsistorium stehe vor dem Abschluss. Danach sei vorgesehen, dass zu bestimmten Anlässen, zum Beispiel zu Weihnachten, auch Gottesdienste in der Angerkirche stattfinden.
„Es wird schwierig bleiben“, bemerkte Ministerpräsident Matthias Platzeck, der erklärtermaßen „als Nachbar und Sternpate“ gekommen war, zur Nutzung. Generalsuperintendent Hans-Ulrich Schulz hob den Umstand hervor, dass sich so viele Bürger in einer „religiös eher gemäßigten Zone“ für den Wiederaufbau des zur Ruine verfallenen Kirchengebäudes engagiert haben. Das unter der Regentschaft und Förderung von Friedrich Wilhelm IV. 1853 erbaute Gotteshaus war bekanntlich nach dem Neubau der Bethlehemkirche im Jahre 1899 von der evangelischen Kirche aufgegeben worden, diente unter anderem als Lagerraum für Kartoffeln und Fensterrahmen und wurde schließlich der Stadt Potsdam verkauft. Nach der Wende standen die Zeichen für den Wiederaufbau zunächst ungünstig; ein Antrag von Gisela Opitz von der Fraktion Bürgerbündnis lehnte die Stadtverordnetenversammlung ab.
Erst nach Gründung des Fördervereins im Jahre 1999 und durch das Sponsoring zahlreicher Unternehmen mit der Baudenkmalsanierungsfirma von Roland Schulze an der Spitze gelang es, das originelle Bauwerk zu retten. Der Förderverein besitzt heute nicht nur das Nutzungsrecht, sondern auch das Grundstück.
„Wir stehen an der Seite der Kirchengemeinde Babelsberg“, versicherte der Superintendent hinsichtlich der Nutzung. Und: „Das für alle offene Bürgerhaus wird immer die gefühlte Temperatur einer Kirche haben“. Auf das Schild „Standesamt“ zielend, sprach Hans-Ulrich Schulz von „schöner Zweisamkeit“. Amtlich sei es schon lange keine Kirche mehr, dennoch befände sich der Eheschließungsraum „nicht auf neutralem Boden“. Wie das vollendete Bauwerk seine Meister lobe, werde ein gelungenes Vertragswerk alle Beteiligten am Wiederaufbau loben.
Salomonisch äußerte sich Oberbürgermeister Jann Jakobs zum Konflikt: „Ich finde, dass das Nutzungskonzept eine relativ kleine Aufgabe ist vor dem Hintergrund dessen, was schon alles geschaffen worden ist.“
Zum ersten Mal seit hundert Jahren gab es am Sonnabend wieder ein Glockenläuten auf dem Neuendorfer Anger. Auf der Angerkirche befindet über dem Altareingang eine kleine Glocke, die zur Einweihung am Sonnabend von Kindern zum Klingen gebracht wurde.
Günter Schenke
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: