Aus dem GERICHTSSAAL: Gericht wollte Hitlergruß sehen
Vom Äußeren her passt Sebastian S. * (24) ins Klischee des Rechtsradikalen.
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Vom Äußeren her passt Sebastian S. * (24) ins Klischee des Rechtsradikalen. Kahl geschoren und dunkel gekleidet sitzt der Gebäudereiniger auf der Anklagebank des Amtsgerichts. Allerdings bestreitet er entschieden, in der Nacht des 25. Dezember 2005 gegenüber zwei Berlinern in der Schiffbauergasse die rechte Hand zum Hitlergruß erhoben zu haben. „Ich kam aus der Disko. Da wurde ich von mehreren Leuten zusammengeschlagen“, berichtet er. Als die Polizei gerufen wurde, die Beamten seine Personalien aufnahmen, sei er von einigen Angreifern provoziert worden. „Da habe ich den Stinkefinger gezeigt. Mehr war nicht“, beteuert Sebastian S. „Würden Sie das einmal vormachen?“, fragt Richterin Waltraud Heep. Der Angeklagte lässt sich nicht lange bitten, demonstriert lässig die allgemein bekannte Geste. „Das ist zwar auch nicht fein, aber auf keinen Fall mit dem Hitlergruß zu verwechseln“, konstatiert die Vorsitzende. „Können Sie sich erklären, wieso die beiden Zeugen Sie dann beschuldigen?“ Sebastian S. hat keine Ahnung.
Jens J.* (31) ist es sichtlich unangenehm, als er das Gesehene im Verhandlungssaal szenisch umsetzen soll. „Es dient lediglich der Wahrheitsfindung“, beruhigt ihn die Richterin. Blitzschnell zeigt er die verbotene Bewegung, überzeugt auch die Staatsanwältin vollkommen von der Richtigkeit der Anklage. Dann lässt der Inhaber einer mobilen Werbefirma die Ereignisse jener Nacht noch einmal Revue passieren: Auf dem Heimweg vom „Waschhaus“ sei der Angeklagte mit seinem BMW hupend hinter ihnen hergerast, habe das Gefährt gestoppt, sei herausgesprungen, habe zu schimpfen und zu rempeln begonnen. „Wir haben uns in der Disko überhaupt nicht gesehen. Deshalb waren wir ganz schön verwundert.“ Als die Polizeibeamten die Kontrahenten getrennt hatten, habe Sebastian S. von der anderen Straßenseite her – für die Beamten nicht sichtbar – tatsächlich mehrfach den Mittelfinger erhoben. Er habe auch die Bewegung des Halsdurchschneidens gemacht. „Und einmal habe ich ganz deutlich den Hitlergruß gesehen“, betont der als Zeuge geladene Berliner. Sein Bekannter Paul P.* (31) ergänzt: „Der Angeklagte hat uns auch noch als stinkende Kanaken beleidigt. Wir haben das überhaupt nicht verstanden“, so der Physiotherapeut.
Das Vorstrafenregister von Sebastian S. ist blütenrein. Mit 1,21 Promille dürfte er in jener Weihnachtnacht auch nicht so betrunken gewesen sein, dass er nicht mehr wusste, was er tat. „Ich weiß nicht, was da mit Ihnen durchgegangen ist“, rätselt die Richterin. „Ich hoffe aber, eine Geldstrafe im mittleren Bereich hält Sie künftig davon ab, so etwas noch einmal zu tun.“ Das Urteil: 1050 Euro. (*Namen geändert.) Hoga
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