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Zeithistorisches Forschen in der Mediengesellschaft

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Wenn, wie gerade in Köln geschehen, ein Archiv in sich zusammenfällt oder Opfer der Flammen wird, ist das Entsetzen groß über den Verlust unwiederbringlicher Zeugnisse. Eine Katastrophe für Historiker. Die zeitgeschichtliche Forschung sieht sich aber noch einem anderen Problem ausgesetzt: der Überflutung durch mediale Bilder, Filme und Tondokumente, Unmengen von Zeitzeugenberichten, Biografien und Sachliteratur, eindrucksvoll zu beobachten im gerade begonnenen Jubiläumsjahr 2009.

Wie soll die Wissenschaft damit umgehen? Und welche Darstellungsformen wird sie angesichts der rasanten Medienentwicklung künftig wählen? Diesen Fragen widmete sich am Wochenende eine Konferenz, zu der das Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) nach Potsdam eingeladen hatte. Der bis auf den letzten Platz besetzte Vortragssaal in der „Manége“ am Neuen Markt bestätigte den Initiatoren, mit ihrer Themensetzung den Nerv getroffen zu haben.

Martin Sabrow, Direktor des ZZF, stellte in seinem Eröffnungsreferat die These auf, dass die Zeitgeschichte als Wissenschaft von der Medialisierung nicht nur herausgefordert, sondern auch strukturell verändert wird. So entwickele sich im Medienzeitalter die Zeitzeugenschaft zu einer konservierbaren und unvergänglichen Größe. Ein anderes Indiz sei die Vielfalt der Erzähler und Akteure. Längst hätten die Historiker ihr Deutungsmonopol in der Konkurrenz mit Journalisten, Filmdokumentaristen und Ausstellungsmachern eingebüßt. Andererseits engagieren sich Forschungseinrichtungen wie das ZZF in zeitgeschichtlichen Lern- und Gedenkorten. So habe sich ein „Überlappungsraum“ von Fachwissenschaft und massenmedial gestützter Geschichtsvermittlung gebildet.

Auch die Themensetzung bleibe, so Sabrow, nicht mehr der Forschung allein überlassen. Vor allem die Sach- und Fachbuchverlage spielten hier eine große Rolle. Der 20. Jahrestag des Mauerfalls habe einen bislang ungekannten Druck von Verlagen erzeugt, schon im Vorfeld des Jubiläums mit einschlägigen Titeln vertreten zu sein. Gleich im Dutzend seien zur Leipziger Buchmesse Titel zur deutsch-deutschen Geschichte und zum Herbst 1989 erschienen.

Sabrow beobachtet zudem eine Aufspaltung der Schreibstile. Einerseits drohe die Individualität des schreibenden Historikers in einem immer weiter ausdifferenzierten Fachdiskurs zu verschwinden, andererseits setzten die großen Publikumsverlage auf die verkaufsfördernd inszenierte Gelehrtenpersönlichkeit. Sabrow erkennt einen Trend zu wissenschaftlicher Subjektivierung, einen Wandel vom distanzierten Erklären zum einfühlenden Erzählen. Besonders in der Erinnerungsliteratur, wie sie, auf die DDR bezogen, gerade wieder Hochkonjunktur hat, drohe sich die Zeitgeschichte in Zeitgeschichten aufzulösen. Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen verschwimmen, vor allem in den TV-Dokudramen.

Angesichts dieser Vielzahl medialer Einflüsse, sieht Sabrow die zeitgeschichtliche Forschung in der Pflicht, sowohl als Teil der Erinnerungskultur zu wirken wie auch als ihr kritisches Gegenüber. Diese Doppelrolle sei die eigentliche Herausforderung im Medien- und Gedächtniszeitalter. Antje Horn-Conrad

Antje Horn-ConradD

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