
© A. Klaer
Von Guido Berg: Gestaltungsrat zeigt bereits Zähne
Architektur-Gremium kritisiert Groth-Großprojekt am Voltaireweg / Rat besitzt kein Veto-Recht
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Mit Biss: Der sich gestern konstituierte Potsdamer Gestaltungsrat hat sich bereits in seiner ersten Sitzung als ein Tiger erwiesen, dem auch Zähne gewachsen sind: Das aktuelle Bauprojekt des Glienicker-Horn-Entwicklers Groth neben dem Dorint-Hotel wurde von den Architektur-Koryphäen gnadenlos verrissen. 114 Wohnungen will Groth in sieben Villen- artigen Viergeschossern zwischen Voltaireweg und Pappelallee errichten. Ein zusätzlicher großer Querriegel soll das hochpreisige Wohnensemble von der Pappelallee abschirmen. Insbesondere Martin Reichert, Direktor des Berliner Büros von Stararchitekt David Chipperfield, nagte sowohl gewaltig an dem Pappelallee-Riegel als auch am Selbstwertgefühl des Architekten Gregor Fuchshuber. „Ich sehe keine Hauptfassade“, so Reichert. Der Entwurf ähnele einer „modernisierten Mietskaserne“; die Aufgabe sei „gestalterisch unbewältigt“ und „sehr ungefällig“. An den Mehrgeschossern im Innenbereich kritisierte Reichert – aber auch die zur Vorsitzenden des Gestaltungsrates gewählten ehemaligen Cottbuser Architekturprofessorin und Bremer Ex-Staatssekretärin Ulla Luther – die „sachlichen Kuben“ des Entwurfes einerseits und die historisierenden, traditionalistischen Fassadengestaltung mit Balkonen andererseits. Reichert sah „biedermeierliche Eingänge“ und wählte Adjektive, die er als „konstruktive Kritik“ verstanden wissen wollte: „Indifferent, vage, unentschlossen, über- und unterartikuliert“. Sein Fazit zu Fuchshubers Entwurf: „Sie bleiben hinter dem zurück, was Sie können.“ Die Reaktion von Mitgliedern der Potsdamer Bürgerinitiative Mitteschön bestand indes aus leuchtenden Augen und Ausrufen wie „sehr differenziert“ oder „sehr fundiert“.
Der Gestaltungsrat hat die Aufgabe, Bauherren und Bauverwaltung fachlichen Rat bei wichtigen architektonischen und städtebaulichen Problemen zu geben, wie der Baubeigeordnete Matthias Klipp (Bündnisgrüne) eingangs erläuterte. Die sechs hochkarätigen Architekten begutachten Projekte auf Anraten der Stadt, aber auch auf Wunsch von Bauherren und Investoren. Der Rat hat kein Vetorecht, gibt aber Empfehlungen ab. Ein positives Votum ist auch nicht Bedingung für eine Baugenehmigung. Das Gremium tagt öffentlich, Rederecht für Besucher bestehe nicht, so der Beigeordnete. Vorgelegt würden dem Expertenrat Vorhaben, die noch nicht im Genehmigungsverfahren sind, so Klipp. Gern hätte er dem Rat die Ventehalle mit Anbau an der Schwanenallee vorgestellt. „Die ist aber schon genehmigt“, so Klipp. Auch der Nachfolgebau des „Haus des Reisens“ am Platz der Einheit wäre Klipp zufolge vor dem Gremium gut aufgehoben gewesen. Eine Rekonstruktion der bis 1945 an der Stelle gestandenen Alten Post lehnt die Pro Potsdam ab. Deren Vorhaben, so Klipp, müssen künftig „gnadenlos in den Gestaltungsrat gezogen werden“.
Am Ende gab Groth-Vertreter Gerd Unger selbst zu, dass der Entwurf aussieht, „als wenn die Balkone nachträglich davor gesetzt worden sind“. Er versprach eine Überarbeitung der Fassaden noch vor der nächsten Sitzung des Gestaltungsrates am 14. Dezember. Die Grothsche Gartengestaltung, entworfen von Stephan Haan, fand im übrigen Lob. Ratsmitglied Regina Poly: „Die Rasenhügel finde ich gut.“
Gnädiger kam gestern die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft e.G. (WBG) mit ihrem geplanten Dachgeschossausbau in der Käthe-Kollwitz- Straße davon. WBG-Mitarbeiter Roland Zellmann und sein Architekt Robert Specht erläuterten, dass die biederen und bescheidenen Bauten aus den 1950er Jahren attraktiv werden sollen für junge Familien. Daher müsse das Dachgeschoss „etwas architektonischen Ungehorsam“ ausdrücken, so Specht, und „Freches, Lebendiges, Unruhiges“ an sich haben. Specht löste diese Aufgabe, in dem er kubische Baukörper mit Zinkblech-Ummantelung aus den Dachflächen herausragen lässt. „Sehr schön und mit großem Stil gemacht“, erklärte Ulla Luther, verwies aber auf den starken Kontrast zwischen jungem Wohnen unterm Dach und den älteren Mietern darunter: „Sie ziehen sich Konflikte unters Dach.“
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