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Von Heike Kampe: Gesund zurück nach Kandahar

Der 11-jährige Jan Wali ist das dritte afghanische Kind, das im Bergmann- Klinikum erfolgreich behandelt wurde

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Sechs Jahre lang konnte Jan Wali seine rechte Hand nicht bewegen, konnte keinen Stift und kein Besteck halten, konnte nicht so unbeschwert toben und klettern wie seine Altersgenossen. Als Fünfjähriger verbrannte sich der Junge aus Afghanistan an beiden Händen, Armen und Gesicht, als er beim Spielen in den Erdofen fiel, in dem die Mutter gerade Brot buk. Die rechte Hand hatte es besonders schlimm erwischt. Beim Verheilen der schweren Brandwunden entstand verwachsenes Narbengewebe, das die Hand verkrümmte und im rechten Winkel abstehen ließ. Zwei Finger verwuchsen miteinander, die ganze Hand konnte sich nicht gesund weiter entwickeln.

Vor einem halben Jahr kam der inzwischen elfjährige Junge nach Potsdam und wurde im "Ernst von Bergmann" Klinikum operiert. "Die Operation war sehr aufwendig", erklärt der Chefarzt der plastischen Chirurgie, Dr. Mojtaba Ghods. Der Mediziner ist Experte für Mikrochirurgie und die Behandlung von Verbrennungen. Er hat Jan operiert. Acht Stunden dauerte der Eingriff, bei dem das zehnköpfige OP-Team ein Stück des Oberschenkelgewebes an die Hand verpflanzte und diese so wieder aufrichtete. Unter dem OP-Mikroskop wurden die winzigen Blutgefäße und Nervenbahnen des Gewebestücks mit den Gefäßen der Hand verbunden, damit das Gewebe nicht abstirbt. Die komplizierte Operation gelang. Einige Wochen später wurde in einem zweiten Eingriff das Handgelenk versteift, damit Jan mit seiner rechten Hand wieder greifen kann. Ergo- und Physiotherapie halfen ihm nach und nach dabei, seine Hand wieder bewegen und benutzen zu können

Die Stiftung "Friedensdorf International" ermöglichte es, dass Jan in Deutschland behandelt werden konnte. Mit medizinischer Einzelfallhilfe setzt sich die Stiftung seit Jahrzehnten für Kinder aus Krisen- und Kriegsgebieten ein. Fehlendes Expertenwissen, fehlende medizinische Ausrüstung, aber auch einfach fehlendes Geld - das sind die Gründe, warum Kinder mit schwersten Verletzungen in ihren Heimatländern oft nur ungenügend behandelt werden. In Deutschland kann einigen dieser Kinder geholfen werden, auch dank des Engagements vieler Ärzte, die die Kinder kostenlos und während ihrer Freizeit behandeln. "Es ist auch eine Frage der Nächstenliebe", erklärt Dr. Ghods seinen persönlichen Einsatz. Ihm sei es wichtig, etwas von den Möglichkeiten weiterzugeben, die er in einem verhältnismäßig reichen Land wie Deutschland habe, so der Arzt. "Wir sind sehr froh, dass die Behandlung dieser Kinder in unserem Haus möglich ist", sagt Professor Michael Radke, Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik des Bergmann-Klinikums. Die Unterstützung der Geschäftsführung, die gut funktionierende Zusammenarbeit der einzelnen Kliniken des Hauses und der Einsatz der Ärzte, Pfleger und Schwestern seien für den Erfolg einer solchen freiwilligen Leistung notwendig. Jan Wali ist nach Rosina und Farida bereits das dritte Kind aus Afghanistan, das während der vergangenen zwei Jahre im Bergmann-Klinikum behandelt wurde. "Als Chef der Kinderklinik bin ich sehr dafür, dass wir uns auf diesem Gebiet weiter engagieren", so Radke. Die Behandlung von ein bis zwei Kindern pro Jahr sei ein gutes Ziel. "Die ein oder andere Summe aus dem Verteidigungsetat wäre hier vielleicht sinnvoller angelegt", fügt der Mediziner hinzu. Das Klinikum plant derzeit, über seinen Freundes- und Förderkreis gezielte Spenden für diesen Bereich zu sammeln.

Jan hat die Wochen zwischen den Operationen im Friedensdorf Oberhausen verbracht. Gemeinsam mit 80 weiteren Kindern aus Afghanistan erholte er sich, lernte Freunde kennen, lernte Deutsch sprechen. Seine Familie blieb in Afghanistan, sie fehlte ihm sehr. Das Telefon war während des letzten halben Jahres die einzige Verbindung zu ihr. Doch im Moment ist Jan glücklich, es geht ihm gut und er hat keine Schmerzen. Die Narben der Verbrennungen und der Operationen werden bleiben, und auch die Hand wird nie wieder völlig gesund werden. Dennoch: Jan kann nun wieder vieles tun, das vorher unmöglich war. Seinem größten Wunsch, Automechaniker zu werden, steht jetzt nichts mehr im Weg, er wird ein normales Leben führen können. Am meisten freut sich Jan aber erst einmal auf die Rückkehr in seine Heimatstadt Kandahar, auf Vater, Mutter und die übrigen seiner 15 Verwandten, die ihn sehnsüchtig erwarten. In wenigen Tagen geht sein Flug zurück nach Afghanistan.

Heike Kampe

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