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Landeshauptstadt: Gewalt über Generationen

Fast 4000 Fälle häuslicher Gewalt wurden 2013 registriert – die Folgen der Taten sind jahrelang zu spüren

Stand:

Die Zahlen sind erschreckend: Rund 3840 Fälle häuslicher Gewalt sind der brandenburgischen Polizei im vergangenen Jahr gemeldet worden. Die Dunkelziffer liegt um einiges höher. Doch allein zum Vorjahr ist die Gewalt, die sich im Großteil der Fälle gegen Frauen richtet, im Vergleich zu 2012 um 7,4 Prozent gestiegen. Veröffentlicht hat die Zahlen jüngst das brandenburgische Landeskriminalamt.

Helfen soll das Gewaltschutzgesetz, das die Position der Geschädigten stärkt. Der Täter kann mithilfe der Polizei der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden. Seit 2002 besteht das Schutzgesetz. Wie es mit dessen Umsetzung im Land bestellt ist, war jüngst Thema auf einer Potsdamer Fachtagung. Eingeladen hatten dazu Martina Trauth-Koschnick, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Potsdam, und der Arbeitskreis Opferschutz. In einer rund vierstündigen Veranstaltung diskutierten Vertreter des Potsdamer Polizeipräsidiums, Mitarbeiter verschiedener Opferberatungsstellen und Juristen über das Gesetz. Zwar ging es in der Debatte fast ausschließlich um häusliche Gewalt, das Gewaltschutzgesetz greife aber auch in anderen Fällen psychischer, physischer, sexueller oder ökonomischer Gewalt, hieß es auf der Tagung.

Das große Problem sei nach wie vor, dass über häusliche Gewalt nicht gesprochen werde: „Viele Frauen denken, etwas verändern zu können, wenn sie die Schuld auf sich nehmen oder wollen zumindest so lange aushalten, bis die eigenen Kinder aus dem Haus sind“, sagt Nadja Hübner, Mitarbeiterin im Potsdamer Frauenzentrum. Laut Hübner empfinden viele Frauen psychische Gewalt als die schlimmste Form häuslicher Gewalt. Immer wieder höre sie von den Betroffenen Sätze wie: „Die blauen Flecke verheilen, die Seele nicht.“

Fehlgeburten, Knochenbrüche, Unterleibsverletzungen, Schlaf- und Essstörungen, Depressionen, Sucht, Verschuldung, Armut, mangelndes Selbstwertgefühl – die Folgen häuslicher Gewalt seien vielfältig. Und oft auch generationenübergreifend. „Werden Kinder Opfer häuslicher Gewalt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese später selbst gewalttätig werden, zehnmal so hoch“, sagt die Psychologin Rosmarie Priet, die die Potsdamer Traumaambulanz leitet.

Priet hat seit der Erlassung des Gewaltschutzgesetzes vor allem bei der Polizei eine veränderte Haltung festgestellt – im positiven Sinne. „Die Polizei nimmt häusliche Gewalt viel ernster.“ Die Beamten seien fortgebildet und sensibilisiert worden und könnten Betroffene umfassend informieren.

Dennoch: An der Schnittstelle von Polizei und Familiengericht bestehe immer noch eine große Schutzlücke, so die Psychologin. Demnach würden viele Betroffene schon bei der komplizierten Antragstellung aufgeben: „Den meisten Frauen gelingt es allein nicht, ihre Situation konkret und sachlich zu schildern.“ Auch dürfe der Antrag nicht ohne Anwalt gestellt werden. Dies könnten sich die meisten Frauen aber nicht leisten, sagt Priet.

Die Bilanz der Tagung: Um Frauen und Kinder besser zu schützen und ihnen ein gewaltfreies Leben zu ermöglichen, müssten Familiengericht, Polizei und Beratungsstellen besser zusammenarbeiten.

Ein Dilemma bleibt: Gewaltschutzgesetz, Umgangsrecht und Kinderschutzgesetz seien drei völlig unterschiedliche Sachen, erklärt Hübner vom Frauenzentrum. Sie erzählt von einem Fall, bei dem eine Mutter zusammen mit ihrem Kind wegen des gewalttätigen Vaters in ein Frauenhaus flüchtete. Letztlich überließ man das Kind dem Vater mit der Begründung: „Die Mutter hatte ihr Kind nicht nur aus seinem gewohnten Umfeld herausgezogen, sondern während des Aufenthaltes im Frauenhaus auch die Schulpflicht verletzt.“ Mareike-Vic Schreiber

Mareike-Vic Schreiber

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