Landeshauptstadt: Gezielte Nachfragen
Ein UN-Inspektor prüft das Recht auf Bildung
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Seine erste Begegnung mit dem deutschen Bildungssystem führt den Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission, Vernor Muñoz, zu Seeteufeln, Krabben und Matrosen. In der Potsdamer Kindertagesstätte „Kinderhafen“ wollte sich Muñoz gestern einen ersten Eindruck verschaffen, wie das Recht auf Bildung in Deutschland umgesetzt wird. Gibt es gerechte Bildungschancen für alle? Oder gibt es Nachteile für Kinder aus den so genannten bildungsfernen Schichten und für Migranten? Das zumindest hatten die internationalen PISA-Studien behauptet.
Fast schüchtern betritt Muñoz die Gruppenräume, deren Namen alle etwas mit Wasser und Meer zu tun haben. Die Kinder lassen sich nicht stören. Ungerührt malen oder basteln sie weiter. Muñoz spricht mit Kindern und Erzieherinnen, die Dolmetscherin übersetzt. Der „Kinderhafen“ ist eine Integrations-Kita der Arbeiterwohlfahrt inmitten klassischer DDR- Plattenbauten. Von den rund 200 Kindern haben 26 Behinderungen, erzählt Leiterin Kerstin Stulgies. Muñoz hört geduldig zu und fragt gezielt nach. „Auf welche Schulen gehen die Kinder nach der Kita-Zeit? Sind die Räume und Sanitäreinrichtungen behindertengerecht? Was sind die größten Probleme?“ Die Kinder hätten überhaupt keine Probleme miteinander, sagt Stulgies und erzählt stolz, dass der „Kinderhafen“ für 2,2 Millionen Euro saniert wurde. Ob er nicht befürchtet, dass man ihm in Deutschland nur die Schokoladenseiten der Bildung präsentiert, fragt ein Journalist. „Oh, ich würde auch gerne die schlechten Seiten sehen“, antwortet Muñoz und erkundigt sich umgehend nach der nächstgelegenen Schule.
Unversehens findet sich der Tross zum Überraschungsbesuch in der Marie-Curie-Schule ein, einer Oberschule mit Oberstufenzentrum im Schlaatz. Die triste Plattenbauschule ist ein herber Kontrast zur sanierten Kita. Farbe blättert ab, kaputte Fenster sind notdürftig geflickt. „Die Schule soll wegen Schülermangels geschlossen werden, darum wird hier nicht mehr viel gemacht“, sagt ein Mitarbeiter des Bildungsministeriums entschuldigend. „Von den 230 Schülern haben rund 80 einen Migrationshintergrund“, erklärt Schulleiter Dieter Degenkolbe dem UN-Inspektor. Sie kommen aus 22 Nationen. Und er erzählt von der Spezialklasse, in der Migrantenkinder zunächst bis zu ein Jahr zusammengefasst werden um Deutsch zu lernen.
Auf dem Gang trifft die Gruppe die 18-jährige Zainab Siddiqi. Sie ist vor drei Jahren mit ihren afghanischen Eltern nach Deutschland gekommen. Damals konnte sie kein Wort Deutsch. Jetzt erzählt sie fließend, dass ihr Vater Politiker in Afghanistan war und in einem Gefängnis der Taliban saß. Muñoz fragt nach den Qualitäten der Lehrer, ob junge Frauen hier diskriminiert werden oder ob in den Schulbüchern Klischees, etwa über Geschlechterrollen, verbreitet werden. Zainab Siddiqi schüttelt den Kopf, Muñoz lächelt zufrieden. Im Eilschritt versucht der Tross den Rückstand im Besuchsprogramm aufzuholen.
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