Landeshauptstadt: Glas hatte Glück
Shopperfahrer Peter Ernst rettete archäologische Kleinodien vor Baggerschaufel
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Da hatte ihn der Baggerfahrer unterschätzt. Dabei besteht vom Äußerlichen her für Geringschätzung kein Anlass. Peter Ernst ist groß gewachsen und wenn der 73-jährige Motorradfahrer mit seiner 600-Kubikzentimeter-Einzylinder-Suzuki vorfährt, trägt er seine braune Lederkombi. Auf deren Kragen steckt ein Abzeichen mit der Aufschrift „Route 66“. Dieses Abzeichen hat sich das Güterfelder Original ehrlich erworben, 1996 auf der „Wahnsinnstour“ auf der berühmten Ost-West-Straße in den USA.
Den Baggerfahrer also erwischte Peter Ernst im Herbst 2005 auf frischer Tat. Der hatte bei seiner Arbeit an der Nuthebrücke in der Friedrich-Engels-Straße gerade Holzpfähle und Balken zutage gefördert. Denkmalrechtlich waren die Baggerarbeiten mit Auflagen versehen, der Baggerfahrer hätte seinen Fund melden müssen – was freilich zum Eingreifen der Denkmalschutzbehörde und zu Verzögerungen der Bauarbeiten geführt hätte. Peter Ernst kam gerade hinzu, wie der Baggerführer seine Funde sorgfältig mit Sand zudecken und verbergen wollte. Ernst griff ein. „Nichts wird hier gemeldet“, raunzt der archäologische Ignorant den Fahrer einer „Harley für Arme“, wie Ernst seine japanische Shopper liebevoll nennt, wenig begeistert an. „Melden Sie es doch selber“, soll der Baggerfahrer noch hinzugefügt haben. „Das lasse ich mir nicht zweimal sagen“, entgegnete Ernst. „Ich bin zäh, wenn ich etwas will, lasse ich nicht locker.“ Er informierte das Landesamt für Denkmalpflege, dessen Mitarbeiter auf dem Grund des gerade ausgebaggerten Grabens für eine Regenwasserleitung eine Holzkonstruktion fanden – die Reste eines Steges auf dem so genannten Hakendamm, der durch die Sumpflandschaft der Nutheniederung führte. Die Archäologen fanden aber noch mehr, was sich mit der Kelle klirrend bemerkbar machte: Verschiedenfarbige Glasfragmente, die von Tafelgläsern, Pokalen und Flaschen stammten. Teils waren die Glasteile angeschmolzen, die Fachleute vermuteten, dass es sich um Ausschuss handelt, Ausschuss einer Glashütte. Genau genommen, Ausschuss der kurfürstlichen, später königlichen Glashütte bei Neuendorf, ein Ableger der Glashütte im benachbarten Drewitz. Wie die Archäologen Thomas Kersting und Nicola Hensel im Jahrbuch 2004 über den Glasfund vom Hakendamm schreiben, war der berühmteste Pächter dieser Glashütte jener Johann Kunckel, der auch Leiter der Glashütte auf der Pfaueninsel im Wannsee war. Zwischen 1692 und 1720 produzierte die Glashütte am Hakendamm ausschließlich für den königlichen Hof. Danach auch für den breiten Handel.
Wichtigste Stücke des von Peter Ernst geretteten Glasbruchs sind so genannte Glasmarken. Auf königliche Order von 1728 mussten „Bouteillen“ zur Identifizierung und Unterscheidung der damals verwendeten Flaschen ein Glassiegel am Flaschenhals tragen. Die beiden blauen Glasmarken vom Hakendamm tragen eine fünfzackige Krone und ein Monogramm - zwei ineinander verschränkte Buchstaben, ein „F“ und ein „W“. Es ist das Monogramm Friedrich Wilhelms I. (1713-1740), die Glasmarken, die es tragen, „sind offenbar die ersten nunmehr bekannten dieser Art bzw. dieser Werkstatt“, schätzen die Archäologen in ihrem Jahrbuch ein. Darin erwähnen sie ausdrücklich auch das Engagement von Peter Ernst, den dieses Echo auf seine Courage sehr freut.
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