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Über die Zukunft der Intellektuellen
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Wenn im Potsdamer Einstein Forum über die Zukunft des Intellektuellen referiert wird, könnte das leicht als Berufsberatung verstanden werden. Denn das Forum ist längst über die Landesgrenzen hinaus als „Laboratorium des Geistes“ bekannt, als Ort des wissenschaftlichen Austausches. Der Referent Dietz Bering erklärte hier jedoch unlängst die Intellektuellen für tot. Er ist nicht der erste, der höchst skeptisch dem Konzept des eingreifenden Denkens gegenüber steht. Diese Skepsis hat ihn inspiriert, wiederholt Bücher über die Intellektuellen zu verfassen. Sein jüngstes trägt den programmatischen Untertitel „Geburt, Begriff, Grabmal“. Es will die Biographie eines Begriffs sein.
Dietz Bering legt großen Wert darauf, als Sprachhistoriker zu argumentieren. Die nicht endenden Diskussionen über die Funktion der Intellektuellen seien maßgeblich verursacht durch die schon anfänglich ungenaue Definition des Wortes. Die Geburt datiert Bering 1898 mit der Dreyfus-Affäre. Als Intellektuelle wurden die beschimpft, die den jüdischen Angeklagten verteidigten, die staatliche Rechtssprechung hinterfragten und, letztlich erfolgreich, Revision forderten. Karriere machte der Begriff dann aber eher als Schimpfwort.
Bering charakterisierte den Intellektuellen als einen autonomen Menschen mit einem emphatischen Verständnis der Menschenwürde, die er uneigennützig zu verteidigen suche. Intellektuell sei, wer einem universalistischen Wahrheitsbegriff anhinge, dabei aber nie ganz die kritische Distanz verlöre. Nun aber habe die Postmoderne bewirkt, dass es keine unhinterfragbaren Wahrheiten mehr gäbe. Ein stellvertretendes Sprechen für andere sei unmöglich geworden.
Es liegt Bering fern, das Rechtssystem abschaffen zu wollen, nur die Einmischungen Intellektueller seien obsolet. Denn, so seine Hauptthese, da es kein verlässliches Wissen mehr gäbe, hätten die Intellektuellen ihre Basis verloren. Was nicht weiter schlimm sei, denn Intellektuelle befänden sich immer in der Gefahr, sich in ihrem Engagement einer Idee unterzuordnen, Parteigänger einer Ideologie zu werden, so Bering. Das sagt er, als stünde er außerhalb jeglicher Ideologie. Aber das entspricht wohl seinem Selbstverständnis, wenn er kokettierend betont, sein Publikum mit Erkenntnis und Einsicht „illuminieren“ zu wollen.
Denn der Intellektuelle sei noch zu retten. Wo alle Theorien falsch seien, bleibe der Glaube als Ausweg, der Glaube an die Menschenwürde. Das macht schon staunen. Wie ein Sprachwissenschaftler freihändig zwei Vokabeln ineinander verdreht. Dass jeder Mensch Würde besitze, wie es die Menschenrechte postulieren, sei nicht nachweisbar. An Menschenwürde könne nur geglaubt werden. Was von Vorteil sei. Denn Glaube schütze vor Ideologie. Ein solcher Neu-Intellektueller würde keine Gefahr laufen, einer Ideologie zu dienen, da er sich nicht auf eine Theorie, ergo auf Denken, stütze.
Glaube statt Denken verhindert freilich das Hinterfragen sozialer Ursachen, gesellschaftlicher Mechanismen und Utopien eines anderen Umgangs miteinander. Bleibt zu hoffen, dass sich Intellektuelle vom Denken nicht abbringen lassen und auch in Zukunft darauf drängen, die Zustände zu analysieren. Glaube allein hilft nicht. Lene Zade
Lene Zade
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