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Landeshauptstadt: „Gleich bei Ankunft eine Suppe ...“

Vor 175 Jahren wurden die ersten Kitas in Potsdam gegründet – es gibt sie immer noch

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Vor 175 Jahren wurden die ersten Kitas in Potsdam gegründet – es gibt sie immer noch Von Steffi Kahmann In den späten zwanzigerer Jahren des 19. Jahrhunderts brütet an einem Nachmittag im August eine wütende Sonne in den Straßen Potsdams und wirft Schatten über Kopfsteinpflaster, Kutschen und Feuerwehrmänner. Die schwelende Hitze, die vor ihnen aus einem zweistöckigen Mehrfamilienhaus drängt, übertrifft den ohnehin schon heißen Sommer weit. Als das Haus nach einem vierstündigen Kampf gegen das Feuer durchsucht wird, findet sich ein tragisches Opfer. Ein fast fünfjähriges Kleinkind verbrannte in der Wohnung seiner Mutter, weil sie wie alle anderen Bewohner ihrer Arbeit nachging, und ihre Tochter allein lassen musste. So oder so ähnlich mag sich das abgespielt haben, was schließlich Regierungsrat Wilhelm von Türk am 10. April 1829 veranlasste, zur Gründung einer Pflegeanstalt für kleine Kinder, „deren Eltern sich ihren Lebensunterhalt außerhalb des Hauses verdienen müssen“ aufzurufen. Sein Ruf wurde erhört, und was vor nunmehr 175 Jahren ins Leben trat, besteht noch heute. Die Kita „Nikolai“ in der heutigen Posthofstraße, sowie die Kita der Heilig-Kreuz-Gemeinde in der Kiezstraße, gingen 1831 aus der zwei Jahre zuvor gegründeten „Kleinkinderbewahranstalt“ hervor, die ihren Platz zunächst Am Neuen Garten 14 hatte. „Es ist einfach erstaunlich, wie lange sich eine solche Einrichtung erhalten konnte. Eigentlich hatten wir ja schon im April das Jubiläum, aber da wir mit der Organisation noch etwas in Verzug sind, wird wohl erst im September gefeiert werden“, erzählt Ulrike Labuhn, Leiterin der Abteilung Kindertagesstätten des Diakonischen Werkes. Die christliche Erziehung in der Anstalt, die seit der Gründung von einem Wohltätigkeitsverein getragen und durch Spenden Friedrich Wilhelms III. finanziert wurde, war zu jener Zeit die einzige Möglichkeit der Eltern, ihre Arbeit zu verrichten. Und so nahm die Zahl der betreuten Kinder rasant zu. Waren es anfangs noch 12, wurden 1837 schon insgesamt 90 Kinder gezählt, die zu diesem Zeitpunkt schon auf zwei Einrichtungen verteilt werden mussten. In den ersten Jahren waren die Anstalten lediglich im Sommer geöffnet, so dass die Pfleglinge „in Ermangelung gehöriger Aufsicht und Pflege, in körperlicher und sittlicher Hinsicht nur zu sehr vernachlässigt wurden, und daher die Früchte der ihnen den Sommer über gewidmeten Sorgfalt während des Winters wieder größtenteils verloren gingen“, wie man es der Chronik der „Heilig-Kreuz-Gemeinde“ entnehmen kann. Daher beschloss man 1836, mit der Anstalt eine Kleinkinderschule zu verbinden, so dass die älteren Kinder auch im Winter in der Anstalt verpflegt und beaufsichtigt werden konnten. Die Statuten, die die Pflegeanstalt betreffen, berichten, dass die Kinder „gleich bei ihrer Ankunft eine Suppe als erstes Frühstück erhalten, zwischen 9 und 10 Uhr ein zweites Frühstück, das aus einem Stück weißen Roggenbrodes besteht; Mittags Gemüse oder Suppe; Nachmittags zwischen 3 und 4 Uhr wieder ein Stück Roggenbrod; Abends eine Suppe. Bei ihrer Ankunft werden sie gewaschen und es wird ihnen ein Hemde und ein Pohlrock angezogen, welche der Anstalt gehören “. Diese Fürsorge konnte bis 1939 durch verschiedene Spenden der Gemeinde und der Stadt an den Wohltätigkeitsverein gewährleistet werden. Die Zuschüsse durch die Stadt wurden gekündigt und der Verein gedrängt, die Anstalten der National Sozialistischen Volkswohlfahrt zu übergeben“, erzählt die Chronik aus diesem Jahr. Kurz vor Beginn des II. Weltkrieges wagt die Vereinsführerin Lotte Hoppe dennoch eine mutige Erwiderung auf das Kündigungs-Schreiben der Stadtverwaltung Potsdams. Sie argumentiert, da die Stadt die Zuschüsse kurzfristig gekündigt habe, träten nun die Kirchengemeinden an die Seite des Wohltätigkeitsvereins, um die alte evangelische Arbeit zu erhalten. Finanzielle Unterstützung kommt von da an also von den Kirchengemeinden der Stadt und der Verein mit seinen beiden Kindergärten konnte bis 1945 weiter arbeiten. Denn bei Kriegsende waren, wie so viele Gebäude Potsdams, auch diese beiden Einrichtungen völlig zerstört, so dass der Kindergarten der Heilig-Kreuz-Gemeinde, der zunächst am Neustädter Tor eingerichtet war, in seinen jetzigen Sitz in der Kiezstraße umzog. Der Kindergarten in der Posthofstraße, der damals noch Hirschfeld-Kindergarten hieß und vorrübergehend im Kindergarten der Pfingstgemeinde Unterschlupf fand, feierte schließlich am 2. März 1946 seine Wiedereröffnung. Im Mai 1981 wurden die Gemeinden Teltow-Vorstadt, Heilig-Geist und Nicolai zusammengeschlossen und aus dem einstigen Hirschfeld-Kindergarten wurde die Kita „Nicolai“. Abenteuer vom gleichen Ausmaße wie in den 30er und 40er Jahren waren nicht mehr zu bestehen, aber als in den späten 80ern das Gebäude dringend erneuert werden musste, zog man mit den Kindern in die Nikolai-Kirche, wo man insgesamt ein halbes Jahr nicht nur Messe und Predigt, sondern auch echten Kindergarten erleben konnte. Seit 1999 hat das Diakonische Werk die Trägerschaft der Kitas übernommen, und heute, im Mai des Jahres 2004, sind beide schon mehr als 175 Jahre alt. Dennoch scheint es, als müsste „Nicolai“ ein weiteres Mal seine Flexibilität unter Beweis stellen. Das Gebäude der Kita befindet sich seit der Zusammenlegung der Gemeinden im Besitz der Christoffel-Blinden-Mission, die den Mietvertrag gekündigt hat. Aber trotz der unbestimmten Zukunft wird am 25. September gefeiert – in beiden Einrichtungen.

Steffi Kahmann

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