Landeshauptstadt: Glück der späten Geburt
Elterngeld: 100 Potsdamer holten Anträge ab / Ärzte: Keine Urkundenfälschung in Silvesternacht
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Lange Gesichter machte ein Elternpaar dieser Tage im St. Josef-Krankenhaus, als sein Baby zweieinhalb Wochen vor dem berechneten Termin zur Welt kam. Grund ist das neue Elterngeld von bis zu 1800 Euro im Monat, das ab 2007 gezahlt wird – aber nur für Eltern, deren Kinder im neuen Jahr das Licht der Welt erblicken. Wer zu früh niederkommt, den bestraft in diesem Fall der Bund, der den Stichtag für den Lohnersatz aus Staatsmitteln auf den 1. Januar 2007 legte. Zumindest die meisten berufstätigen Mütter und Väter sind danach besser gestellt. Sie erhalten künftig bis zu 25 200 Euro zusätzlich – allerdings nur die, die vor der Babypause im Monat mehr als 2687 Euro Netto verdient haben.
100 Antragsformulare für das Elterngeld haben Potsdamer Eltern in spe bereits bei der Stadtverwaltung abgeholt, sagte die zuständige Bereichsleiterin Christiane Gavlik gestern bei einem Pressegespräch. Denn die Stadt wird dann die Bundeskasse in Kiel direkt anweisen, die entsprechenden Beträge an die Eltern auszuzahlen, so Gavlik. Eine Mutter beispielsweise erhält dann während des gesamten ersten Lebensjahr ihres Babys 67 Prozent ihres vorherigen Netto-Einkommens oder mindestens 300 und maximal 1800 Euro steuerfrei als Elterngeld. Ihrem Partner stände dies dann für weitere zwei Monate ebenfalls zu, wenn er sich in dieser Zeit daheim ums Kind kümmert, erklärte Gavlik. Bedingung: Der andere Elternteil arbeitet während der „Partnermonate“ nicht mehr als 30 Wochenstunden.
Wichtig sei, dass Eltern diese Hilfe rechtzeitig beantragen, sagte Gavlik. Denn das neue Elterngeld werde nur drei Monate lang rückwirkend gezahlt – im Gegensatz zum Erziehungsgeld, das Eltern noch sechs Monate nach der Geburt des Kindes beantragen können. Im vergangenen Jahr seien in Potsdam bis Dezember 984 Anträge auf diese Hilfe gestellt worden, rund 1500 Potsdamerinnen haben in diesem Zeitraum Kinder auf die Welt gebracht, so Sozialbeigeordnete Elona Müller. Rund 6,5 Millionen Euro Erziehungsgeld sei an Potsdamer Familien geflossen, so Gavlik. Sie rechnet für 2007 auf jeden Fall mit mehr Anträgen und eventuell auch mit mehr Geburten – weil dann die Einkommensgrenze für die staatliche Unterstützung aufgehoben wird, sei diese mehr Menschen zugänglich.
Eltern von Kindern dagegen, die noch vor dem 1. Januar geboren werden, erhalten das Erziehungsgeld lediglich, wenn sie zusammen nicht mehr als 30 000 Euro Netto im Jahr verdienen: Ihnen stelle der Staat bis zu zwei Jahre lang 300 Euro pro Monat steuerfrei zu Verfügung, so Gavlik. Das Elterngeld können Väter und Mütter dagegen höchstens 14 Monate in Anspruch nehmen. Dadurch würden Eltern mit sehr geringem Einkommen wie etwa Hartz IV-Empfänger bis zu 3000 Euro weniger erhalten. Gleich bleibe aber, dass die 300 Euro Mindestanspruch nicht vom Arbeitslosengeld II abgezogen werden.
Zudem empfiehlt Müller werdenden Eltern, sich von den beiden zuständigen Stadtmitarbeitern im Haus 2 der Verwaltung in der Hegelallee beraten zu lassen. Denn das neue Gesetz sei „sehr kompliziert“, so Müller. So könnten Alleinerziehende etwa 14 Monate zu Hause bleiben und den Ersatzlohn in Anspruch nehmen oder Vater und Mutter jeweils sieben Monate. Alleinerziehende würden während der gesamten 14 Monate unterstützt. Hinzu käme der Geschwisterbonus von zehn Prozent für Familien mit mindestens zwei Kindern unter drei Jahren oder drei unter sechs Jahren .
Er habe Verständnis dafür, wenn Eltern wegen des verpassten Elterngeldes „Verlustgefühle“ haben, erklärte gestern Dr. Friedrich Dressler, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Bergmann-Klinikums. Dennoch schließt er eine medikamentöse Verzögerung der Geburt aus nicht-medizinischen Gründen aus. „Ich mache so etwas nicht“, so der Chefarzt. Ähnlich äußerte sich der Potsdamer Gynäkologe Dr. Ole Schiffel. Ein Eingriff in den natürlichen Geburtsprozess wegen des Elterngeldes wäre unethisch. Deshalb hätte der Wunsch nach einer späteren Geburt bei ihm „keine Chance“ auf Erfüllung. Wie Marc Langenbuch, Oberarzt der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe des St. Josefs-Krankenhauses sagte, seien die medizinischen Möglichkeiten beschränkt, ab der 36 Schwangerschaftswoche wehenhemmende Mitteln einzusetzen. „Ich kann es nicht und ich dürfte es auch nicht“, so Langenbuch. Ein gewisser Spielraum sei für den Arzt bei einem vorzeitigen Blasensprung gegeben. Danach werde die Geburt nach acht oder auch erst nach 24 Stunden medizinisch eingeleitet – je nach Krankenhaus. Dramatisch sei die Situation gegen 24 Uhr in der Silvesternacht. Da hänge viel Geld an der Frage, ob der Arzt als Geburtszeit 23.54 Uhr oder 0.07 Uhr in die Geburtsurkunde einträgt. Natürlich könne der Arzt theoretisch die Geburtszeit auf seiner Armbanduhr und nicht auf der Funkuhr an der Wand ablesen – aber „wenn es hart auf hart kommt, ist es Urkundenfälschung“, so Oberarzt Langenbuch. Deshalb gelte im Zweifel die Funkuhr. Bei den Eltern, deren Kind jüngst zweieinhalb Wochen zu früh kam, habe am Ende dann aber doch die Freude überwogen.
Informationen zum Elterngeld gibt es unter Tel.: (0331) 289 2664 oder im Internet unter www.potsdam.de.
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