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Von Antje Horn-Conrad: Goethes Azubi und ein Knabe im Moor

Schüler und Senioren spielen und sprechen im Generationentheater „Rollentausch“ deutsche Balladen. Heute ist Premiere

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„Es muss nicht alles fließen. Das ist wie ’ne Sternchensuppe, da kann auch mal ein Klumpen drin sein“, ruft Johanna Lesch und springt hinterm Regiepult auf. Drei feste Schritte macht sie auf die Probenbühne zu und gestikuliert mit den Armen. Die Sternchensuppe, in der sie rührt und als kritische Theaterfrau auch immer irgendein Haar findet, ist die neueste Inszenierung des Generationentheaters „Rollentausch“ – ein nicht ganz klassischer Balladenabend.

In zweierlei Hinsicht ist dies ein wagemutiges Projekt: Zum einen versucht die theaterbegeisterte Senioren-Truppe Perlen des deutschen Balladenschatzes wie Goethes „Zauberlehrling“ oder Schillers „Handschuh“ spielerisch in Szene zu setzen, zum anderen konfrontiert sie sich dabei mit der Generation ihrer Enkel. Drei Schüler des Potsdamer Leibniz-Gymnasiums wirken an dem Literaturstück mit, das heute um 19 Uhr im Malteser Treffpunkt Freizeit Premiere hat.

„Am Anfang der Proben waren es einige Schüler mehr“, erzählt Johanna Lesch, die als künstlerische Leiterin des Generationentheaters die Idee für das altersgemischte Projekt vorantrieb. „Leider sind nicht alle bei der Stange geblieben“, sagt sie enttäuscht, obwohl ihr doch etwas Außerordentliches gelungen ist. Immerhin hat sie drei 18 Jahre junge Menschen dazu bewegen können, sich mit Frauen, die ihre Großmütter sein könnten, gemeinsam auf eine öffentliche Bühne zu stellen und 200 Jahre alte Gedichte aufzusagen. Für die meisten Schüler sind die nicht enden wollenden Balladen ein harter Brocken.

German Leniger, Dominique Bergemann und Adrian Seiß stellen sich der Herausforderung. Von schnödem „Aufsagen“ kann bei ihnen auch keine Rede sein. Erprobt im „Darstellenden Spiel“ bringen sie bereits erste Theatererfahrungen aus der Schule mit. Adrian hat sich sogar schon kabarettistisch versucht und hofft, von der gestandenen Kabarettistin Johanna Lesch einiges lernen zu können. Sein komisches Talent lockert manche Szene auf und erzeugt spontane Lacher. Mitunter im falschen Moment, dann muss die Regisseurin eingreifen. Wenn Adrian allerdings den übermütigen Zauber-Azubi von Goethe mimt und dabei unterm Schirm seiner Strickmütze hervorschaut wie der über den eigenen Unfug erschrockene Pinocchio, dann hat er alle Sympathien auf seiner Seite.

Goethes Überflutungsszenario im „Zauberlehrling“ nimmt bekanntlich ein glimpfliches Ende. Der Ritt durch den Nebelwald im „Erlkönig“ geht jedoch nicht so gut aus. German spricht hier die Rolle des Vaters, der das vom Fieberwahn gequälte Kind im Arm hält. Er tut dies mit gebotenem Ernst, was nicht einfach ist, zumal das Kind von einem erwachsenen Mann gespielt wird. „Rollentausch“ eben. Hier bekommt der Name des Seniorentheaters eine ganz neue Bedeutung.

German nutzt die Chance, sich von den Alten etwas abzuschauen. „Sie haben so viel mehr Erfahrungen“, sagt der Gymnasiast, der vor allem wegen der Schauspielerei hierher gekommen war. Dann aber, in der Beschäftigung mit den Balladen, sei ihm zum ersten Mal aufgegangen, warum es darin eigentlich ginge. Vor allem die Sprache ist es, die ihn interessiert. German will sie richtig benutzen können, beim Schreiben und beim Sprechen. „Manchmal hört man das schon, wenn ich in der Schule Vorträge halte.“

Es ärgert ihn, wenn manche seiner Mitschüler der Literatur ignorant und cool begegnen. Zur Aufführung aber wollen dennoch alle kommen. Dann werden sie ihn mutig stehen sehen als Damon in Schillers „Bürgschaft“, der für das Leben seines getreuen Freundes das eigene zu geben bereit ist.

Einen Mut ganz anderer Art braucht die 18-jährige Dominique als „Knabe im Moor“. In der schaurigen Ballade von Annette von Droste-Hülshoff gibt sie wunderbar ängstlich, schreckhaft und unsicher das zitternde Kind, das „rennt, als ob man es jage“. Hinter ihr raunt es geheimnisvoll im Chor der Frauen, zu dem auch Dominiques Lehrerin gehört. Elke Gerth, die Theaterpädagogin am Leibniz-Gymnasium, vertritt im Ensemble die mittlere Generation, ohne jedoch zwischen Alt und Jung moderieren zu müssen. Die Kommunikation scheint vor allem über die Literatur zu funktionieren, bei deren Interpretation das Alter keine Rolle spielt. „Noch nie“, sagt Adrian, „habe ich ,Des Sängers Fluch'' von Uhland so wütend gehört wie bei Helma. Sie ist so stark, hat eine solche Präsenz“, bewundert er seine über 80-jährige „Kollegin“. Helma-Charlott Sage zählt zu den Ältesten der Truppe. Als ehemalige Chorsängerin im Hans Otto Theater verfügt sie wohl auch über die meiste Bühnenerfahrung. Es gefällt ihr, etwas davon abgeben zu können, sagt sie, ganz gerührt von der Spielfreude der jungen Leute.

In der Bereitschaft, sich dem Text zu öffnen, von sich selbst etwas hineinzugeben, finden die Alten und die Jungen zueinander. Mit Fontane bangen sie auf dem brennenden Schiff um den Steuermann „John Maynard“. Und mit Schiller bestaunen sie den verspotteten Ritter Delorges, der todesmutig in des Königs Löwenzwinger steigt, um den hinabgeworfenen „Handschuh“ des Fräulein Kunigund aufzuheben. In solchen Momenten beginnen die Verse zu leben, die alten Balladen, deren Entstehungszeit nicht nur für die Jungen weit zurückliegt. Umso wichtiger ist es, dass sie von Generation zu Generation weitergegeben werden. Gesprochen oder gespielt.

Aufführungen heute und morgen um 19 Uhr im Malteser Treffpunkt Freizeit, Am Neuen Garten 64, Tel. 50 58600, 6/5 €

Antje Horn-Conrad

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