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Landeshauptstadt: Grenzer brauchten freies Schussfeld

20 Jahre nach dem Mauerfall – Führungen durch den Neuen Garten und Park Babelsberg

Stand:

10 000 neu angepflanzte Bäume und Sträucher wachsen im Neuen Garten, vornehmlich am Uferweg des Jungfernsees. Das von dem genialen Landschaftsarchitekten Lenné angelegte Wegenetz wurde erneuert schlängelt sich durch saftig grüne Wiesen. Aus der in der DDR-Zeit verfallenen Meierei ist erneut das gefragte Ausflugslokal geworden, das es schon einmal war. Nicht weit davon glänzt die Muschelgrotte, einst Ort der Geisterbeschwörung, mit erneuerter Fassade aus Rasenerz und anderen Natursteinen. Die Landzunge Quapphorn hat das Eremitage genannte Borkenhäuschen zurückerhalten.

Da hatte es Karin Patzelt schwer, den meist aus Berlin herübergekommenen Besuchern deutlich zu machen, wie es hier im ehemaligen Grenzgebiet bis 1989 aussah. Die junge Gästeführerin leitete am Ostersonntag eine der beiden Auftaktführungen „Grenz-Wege“. Mit dieser bis November laufenden Reihe möchte die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten im 20. Jahr des Mauerfalls die Zerstörungen in Erinnerung rufen, die das DDR-Grenzregime dem Neuen Garten und Park Babelsberg zufügte. Gleichzeitig wird die immense Arbeitsleistung der Stiftungsgärtner deutlich, die die tiefen Wunden in den Parks innerhalb weniger Jahre heilten, im Neuen Garten bis 2004.

Von dem insgesamt 102 ha großen Park waren 13 ha zwischen 1963 und 1989 als Teil des DDR-Grenzgebietes schwersten Schädigungen ausgesetzt. Bis Ende 1989 die Mauer fiel, bestand dieser Teil ab der Glienicker Brücke bis hinauf zur Meierei aus einer kahlen Fläche, durch Todesstreifen, Betonmauer, Wachtürme, Schützengräben, Kolonnenweg, Signal- und metallene Sperrzäune verunstaltet. Die Baumschule am Grünen Haus verwilderte und wurde mit einer Laufanlage für Schäferhunde besetzt, die Flüchtlinge aufhalten sollten. Die Eremitage wurde 1964 abgerissen, weil sie das Schussfeld der Grenzwächter einengte.

Nicht allein, dass die Bäume und Sträucher komplett gerodet worden waren, durch massiven Einsatz von Pflanzengiften wurde auch jeglicher Neuaufwuchs unterbunden. Als nach Abbau der Grenzanlagen 1990 beispielsweise das Quapphorn wieder bepflanzt werden sollte, gingen selbst die als Gründung vorgesehenen Lupinen ein, wenn ihre Wurzeln in 30 cm Tiefe die mit Herbiziden vergiftete Erdschicht erreichten. Mit den flachwurzelnden Pflanzen Seradella und Bienenfreund hatten die Gärtner dann mehr Glück. Wegen des vergifteten Bodens mussten die Pflanzlöcher extra groß ausgehoben werden, für Sträucher 0,60 und für Bäume 1,00 m im Kubik, insgesamt 10 000! Sie brauchten eine übernormale Menge Humus und Dünger; die gesamte Halbinsel musste mit Rindenmulch belegt werden.

Viel Mühe kostete ebenso die Wiederherstellung der Lennésche Wegeführung, die von jeder Biegung wunderschöne und überraschende Blicke auf Heiligen und Jungfernsee, auf das Marmorpalais, die Gotische Bibliothek, die Nikolaikirche, auf die Sacrower Heilandskirche oder die Pfaueninsel öffnet. Auch die Wege waren unter den Grenzbefestigungen verschwunden und mussten mit Hilfe alter Pläne und durch Suchgrabungen aufgespürt werden.

All das sieht man dem früheren Grenzstreifen nicht mehr an. Karin Patzelt hatte Fotos der damaligen Situation mitgebracht, die von Stiftungsgärtnern in der DDR-Epoche heimlich und dann zur Wendezeit aufgenommen worden waren. Sie sind zum Teil auch in die Stiftungsveröffentlichung „Garten. Grenze. Garten“ aufgenommen worden, die auf eine Neuauflage wartet.

Um die Fotos rankt sich manches Histörchen. So zeigt eine Aufnahme kümmerliche Rankenpflanzen an dem 6 m hohen Zaun am Schloss Cecilienhof, hinter dem der Grenzstreifen begann. Der Zaun musste begrünt werden, da ein Besuch des UNO-Generalsekretärs Kurt Waldheim bevorstand. Der hohe Gast sollte keinen negativen Eindruck mitnehmen. Die Grenzer hatten aber auch an dieser Stelle so heftig Pflanzengifte angewendet, dass die Pflanzen einfach nicht wachsen wollten.

Erhart Hohenstein

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