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Landeshauptstadt: Großer Jubel – lauter Ärger

Immer mehr Beschwerden über Lärmbelästigung durch Fan-Meile / Stadt will „Situation entschärfen“

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Potsdams Fußball-Fieber steigt: Mit 1200 Fans war gestern die Public Viewing Area am Brandenburger Tor voll besetzt, die Eingänge mussten geschlossen werden. Insgesamt sollen nach Angaben des Veranstalters der Fan-Meile mehr als 2000 Fußballanhänger den 3:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft im dritten WM-Vorrundenspiel gegen Ecuador in der Potsdamer Innenstadt bejubelt haben. Dies sei die bisher größte Kulisse zu einem WM-Spiel gewesen.

Doch während die Fans immer lauter jubeln, vergeht den Anwohnern und Gewerbetreibenden der Fan-Meile auf der Brandenburger Straße und der ukrainischen Fun-City auf dem Luisenplatz zunehmend der Spaß an der Fußball-Weltmeisterschaft. Sie klagen über laute Beschallung bis tief in die Nacht, mit Buden zugebaute Schaufenster und Fans, die gegen Haustüren und -wände urinieren.

Die Beschwerden darüber bei der Stadt häuften sich, bestätigte Klaus Mertins, städtischer Koordinator für Großveranstaltungen. Dass die Kritik der Anwohner ernst genommen werde, zeige ein Vor-Ort-Termin, der gestern Nachmittag stattfinden sollte. Gemeinsam mit den Organisatoren von Fan-Meile und Fun-City sollten dabei Maßnahmen zur „Entschärfung der Situation“ ausgemacht werden, so Mertins. Beispielsweise für Musik und Beschallung: Zwar sei eine Lautstärke von 70 Dezibel bis 22 Uhr und danach bis zu 55 Dezibel genehmigt worden, so der Koordinator. „Aber man muss das ja nicht ausschöpfen. Wir setzen auf die Einsicht der Veranstalter.“ Auch werde geprüft, ob noch mehr Dixi-Klos hilfreich seien. Aber wenn ein Betrunkener nicht zu den Behelfstoiletten fände, „dann ist das eben so“, sagt Mertins. Zudem sei die Fan-Meile insgesamt gut organisiert. Die WM-Fans nähmen beides mit großer Begeisterung an. „So etwas kann man nicht an den Stadtrand legen. Das gehört in die Innenstadt“, so Mertins.

Dass bei den Problemen erst jetzt nachgebessert werde, ärgert die Direktorin des St. Josefs-Krankenhauses, Adelheid Lanz. Man hätte sich im Vorfeld genauer abstimmen sollen, so Lanz. Am vergangenen Donnerstag, schilderte sie, habe die Lärmbelästigung einen Höhepunkt erreicht. Laute Musik setzte um 23 Uhr ein. Eine Vielzahl von Patienten hätte sich beschwert, ruhig wurde es aber erst Stunden später. Bei aller Freude über die Fußball-WM in Deutschland sollte Rücksicht auf Nicht-Fans und auf kranke Menschen genommen werden, sagte Lanz. Eine Bespielung der Innenstadt-Stätten bis 22 Uhr wäre ihrer Meinung den Fans und den Anwohnern gerecht geworden.

Sie habe den Ärger vorausgesagt, erklärte gestern Ursula Franke, Inhaberin des „Café Babette“, das direkt an die Public Viewing Area in der Brandenburger Straße grenzt. Wegen des Public Viewings vor ihrer Gaststätte zahle sie derzeit das 15-fache an Pacht, ihre Stammkundschaft, eher ältere Herrschaften, blieb des Lärms wegen aber weg: „Wir sind doppelt gestraft.“ Sie registriere im Vergleich zum Juni des Vorjahres bereits Umsatzeinbußen von mehr als 50 Prozent. Noch vor der Fußball-WM war die Café-Inhaberin im Vorstand der AG Innenstadt engagiert, die sich maßgeblich an Fan-Meile und Großbildleinwand beteiligte. Weil sie sich „von dem Verein“ nicht mehr vertreten fühle, sei sie jetzt ausgetreten. „Ich bin erst gar nicht drin“, sagt Ute Samtleben, deren Kunstgalerie im Potsdamer „Fanblock“ liegt. Zwei Fanartikel-Buden in Form von Pagodenzelten seien so vor ihrem Ladenlokal in der Brandenburger Straße postiert worden, „dass kein Strahl Tageslicht“ in ihre Galerie fiel. Daraufhin habe sie einen Anwalt eingeschaltet und „die Buden weggeklagt“. Das sei aber nur ein Teil des Ärgernisses – aggressive Fans, die keinen Platz mehr vor der Großbildleinwand gefunden hätten, ballten sich vor ihrem Schaufenster.

Nicola Klusemann

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