Von Peer Straube: Großes Theater im Karl-Marx-Werk
Roland Emmerich hat „Anonymous“ abgedreht. Das „Globe“ steht noch. Seine Erbauer ärgert das
Stand:
Babelsberg - Die Szenerie hat etwas Surreales. Neben den gewaltigen Backsteinhallen des früheren Karl-Marx-Werks steht ein Greenscreen, davor turnen seltsam gewandete Gestalten mit breitkrempigen Hüten, langen Bärten und Stulpenstiefeln herum. Später wird der grüne Hintergrund irgendeiner Landschaft oder einem Gebäude weichen, im Computer zusammengepixelt. „Die drei Musketiere“ entstehen hier gerade, in den Babelsberger Studios, der flächenmäßig größten Filmschmiede Europas.
Nur wenige Meter weiter steht ein schilfgedeckter Rundbau in Fachwerkbauweise, flankiert von ein paar windschiefen Hütten. Es ist eine Hinterlassenschaft des schwäbischen „Spielbergle“, das Erbe von Roland Emmerich, der hier bis vor Kurzem sein Shakespeare-Abenteuer „Anonymous“ drehte. Das Globe Theatre, wiederauferstanden aus 75 Kubikmetern Holz, aus Gips, Styropor und Stahl. Im Londoner Original wurden seinerzeit die Werke des größten Dramatikers aller Zeiten aufgeführt, der Nachbau sollte eigentlich ein Werk auf Zeit sein.
Noch einmal lässt Dierk Grahlow den Blick über das „Globe“ schweifen, doch eigentlich ist er mit Gedanken in Venedig oder Reims. So genau weiß man das nicht, obwohl beides nur einen Steinwurf weit weg liegt. Grahlow ist derzeit mit den aktuellen „Musketier“-Kulissen beschäftigt. In der alten Karl-Marx-Werk- Halle, wo zur Jahrhundertwende Eisenbahnen gebaut wurden und später dann Autodrehkräne, hat er eine venezianische Wasserstraße erschaffen, die Kathedrale von Reims und ein Luftschiff.
Verständlich, dass das „Globe“ für den Construction Manager, den Kulissenbauer von Studio Babelsberg, schon ein alter Hut ist. Doch nach und nach kommen die Erinnerungen hoch an jenen 4. Januar 2010, als er und sein rund 30-köpfiges Team bei Eiseskälte mit dem Bau begannen. „Wir hatten zehn Wochen“, sagt Grahlow knapp. „Früher haben die für so etwas fünf Jahre gebraucht.“ Dass er es dennoch schaffte, trug ihm im englischsprachigen Filmteam den respektvollen Spitznamen „Baumeister“ ein.
Den Entwurf des „Globe“ lieferte Sebastian Krawinkel. Der Production Designer, zu Deutsch Szenenbildner, orientierte sich an den Stichen aus dem 16. Jahrhundert, die das alte „Globe“ zeigen, das es längst nicht mehr gibt. Im Innern dagegen hatte er freie Hand. Auch beim Globe-Nachbau am Themseufer „hat man sich viel aus den Fingern gesogen“, sagt Krawinkel. Warum also bei einer fragwürdigen Replik abkupfern? Krawinkel schuf in Babelsberg ein prachtvolles eigenes „Globe“ – vergoldete Geländer an den Zuschauerrängen, reich verzierte Ornamente an der Bühne, deren Dach auf blau marmorierten Säulen ruht. Der Maler Hans Holbein habe Pate gestanden, erzählt Krawinkel. Dessen Gemälde zeigen oft Männer in prunkvollen Gewändern. Genau so sollte auch das Globe Theatre wirken – wie die prächtige Robe eines Edelmannes.
Eigentlich ist das „Globe“ selbst bereits der Nachbau eines Nachbaus – vorher stand das Rose Theatre dort, ebenfalls eine Spielstätte zur Zeit Elisabeths I., die für Emmerichs Film wiederauferstand. Danach bastelte man das „Rose“ zum „Globe“ um. Wie viele Zuschauer in die jeweiligen Originale passten, weiß auch Krawinkel nicht mehr so genau. Das Filmemachergedächtnis ist kurz. „Das ist so, als wenn man fürs Abitur lernt“, sagt er schmunzelnd, „von Null auf 100 in ganz kurzer Zeit und dann vergisst man vieles ganz schnell wieder.“
Nicht vergessen hat Krawinkel allerdings Emmerichs Augen, „die immer leuchteten, wenn er hier hereinkam“. Für den Regisseur mit der ausgeprägten Vorliebe für effektvoll zelebrierte Weltuntergänge war es das „Kleinod“ des Films. Das bestätigt auch Stephan Gessler, so etwas wie der zuständige „Bauleiter“ für das „Globe“. Ihm oblag es, die Entwürfe zu zeichnen und die „Manpower“ zu verwalten. Schon im Januar, sagt Gessler, sei der Radius des „Globe“ mit Flatterband abgespannt gewesen, damit Emmerich sich einen ersten Eindruck verschaffen konnte. Später, als die Kulisse stand, mussten die Ränge und die Bühne rund 750 Komparsen tragen können – die technische Crew nicht eingerechnet.
Emmerichs Drehstab hat seine Kameras längst eingepackt, sein Effektspezialist Volker Engel bastelt nun in Babelsberg an den Tricks. Dass das „Globe“ immer noch steht, liegt an Christian Leonard. Der künstlerische Chef der Shakespeare Company Berlin will die Kulisse bekanntlich retten, in der Bundeshauptstadt wiederaufbauen und dauerhaft als echtes Theater nutzen. Die Suche nach einem geeigneten Standort läuft noch, im nächsten Jahr aber muss das „Globe“ weg sein, weil das Studio den Platz für neue Filmkulissen braucht.
Bevor es soweit ist, plant Leonard am 31. Oktober noch ein besonderes Event. Als einmaliges Spektakel will die Shakespeare Company mit 20 Akteuren Auszüge berühmter Stücke des Dramatikers spielen. Auf der Homepage im Internet wird ein Programm versprochen, das „Unterhaltung ganz neu definiert“.
Dass das Theater den Film überlebt, erfüllt Krawinkel erstaunlicherweise nicht mit Freude. „Schade, dass es nicht gleich geschreddert wurde“, sagt er. Das „Globe“ sei für den „kurzen Moment des Films“ angefertigt worden „und nicht, damit da hinterher Heerscharen von Leuten durchrennen“. Gessler pflichtet bei. „Daraus einen Veranstaltungsort zu machen, hat mit dem eigentlichen Inhalt nichts mehr zu tun“, sagt er. „Das war für den Film gemacht und nicht fürs Theater.“
Großes Theater unter Künstlern. Shakespeare hätte sicher seine Freude gehabt.
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