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Ausgesprochen KAPUSTE: Gruß und Kuss

Ja, wie denn nun? Unser Kolumnist versuchte, in Potsdam einem Chinesen neue deutsche Grußformeln zu erklären.

Stand:

Kürzlich kam ich in einem Straßencafé am Nauener Tor mit einem Chinesen ins Gespräch. In gutem Deutsch stellte er sich als Anthropologe vor, der in Deutschland im Rahmen eines Forschungsauftrags unsere Bräuche, insbesondere die Begrüßungsrituale, untersuchen solle. Probleme bereiteten ihm, meinte er seufzend, dass er auf seine höflichen Grüße wie „Guten Morgen!“ oder „Guten Abend!“ kaum eine gleich lautende Antwort erhielte.

„Aber sicherlich ein Hallo“, sagte ich.

„Ja, stimmt, aber auch so Worte wie ‚Mojn‘ oder ‚Amnd‘ Was bedeuten sie? Nur unter ‚Tach‘ kann ich mir etwas vorstellen, es ist wohl ein verstümmeltes ‘Guten Tag!‘“

„Sie vermuten richtig. ‚Mojn‘ leitet sich von ‚Guten Morgen‘, ‚Amnd‘ von ‚Guten Abend‘ ab. Sie können auch die Langform ‚n’Amnd‘ wählen.“

„Und was sagt man mittags? Auch ‚Tach‘?“

„Ja, kommt drauf an. Manche sagen auch ,Mahlzeit’.“

„Gestern stand ich in einer öffentlichen Toilette, als ein Mann hereinkam und ‚Mahlzeit!‘ brüllte. War das korrekt?“

„Nicht ganz.“

„So, so“, murmelte der Mann und machte sich eifrig Notizen. „Zur Begrüßung scheint sich in Deutschland auch geküsst zu werden. Bis vor Kurzem glaubte ich, dies sei nur in südeuropäischen Ländern üblich.“

„In Potsdam ist man am Nauener Tor ziemlich weit südlich. Sehen Sie, dort drüben.“ Ich deutete auf einen großen Tisch, um den etwa zehn junge Frauen und Männer saßen und gerade von einem hinzugekommenen Paar der Reihe nach abgeküsst wurden, so, wie man das aus französischen Filmen kennt.

„Wir in China sind da wesentlich zurückhaltender“, kommentierte der Anthropologe das Geschehen, als das Paar beim vierten Abzuküssenden angelangt war. „Ich muss jetzt weiter“, sagte er. Als er seinen Tee zahlte, nahm sich das Paar gerade den Achten vor.

„Auf Wiedersehen!“, rief der Chinese.

„Ja, bis dann!“

„Was dann?“, fragte er und sah mich irritiert an.

„Verzeihung, ich meinte tschüss.“

„Aha!“, rief er, holte im Gehen sein Notizbuch heraus und zitierte laut: „Tschüss, aus dem französischen Adieu abgeleitet. Auch als tschüssi, tschü oder tschüühüü möglich.“

Drüben an dem großen Tisch hatte das neu hinzugekommene Paar Platz genommen. Eine Frau stand auf und rief „Ich muss weg!“ und begann sich durch die Runde zu küssen. Nach zwei Minuten war sie fertig, rief „Macht’s gut! So long!“ und verschwand.

Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.

Eberhard Kapuste

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