Landeshauptstadt: Gulliver, gegrillt
Die Jugendtheatergruppe „Mad Mix“ des Offenen Kunstvereins interpretiert Swifts Romanvorlage neu
Stand:
„Papa, was ist das für ein seltsames Wesen?“ fragt das Riesenmädchen ihren Vater. Vor ihnen hockt, zusammengekauert, der gestrandete Gulliver, er reicht ihnen gerade bis zu den Knien. Die Riesen beugen sich mit ihren merkwürdigen Fratzen bedrohlich über ihn, pieksen ihn in die Seite und brummen. Bis die Schwester der Riesin sich plötzlich zur Seite dreht und fragt: „Wie soll ich da jetzt reagieren?“. „Mach mal ein paar fiese Vorschläge, man könnte ihn grillen oder so“, ruft Ulrike Schlue vom Rand der Probebühne.
Die Gruppe „Mad Mix“ des Kinder- und Jugendtheaters im Offenen Kunstverein Potsdam probt für ihr neues Stück mit dem Arbeitstitel „Land in Sicht“ – und stellt gleichzeitig noch wichtige Teile des Werks fertig. Bis zur Premiere am 6. Juli in der fabrik in der Schiffbauergasse ist nicht mehr viel Zeit, doch beunruhigt ist niemand: „Am Anfang gibt es bei uns keine fertige Geschichte, keine vorgeschriebenen Dialoge“, erklärt Ulrike Schlue, die gemeinsam mit Nikki Bernstein die Theatergruppe leitet. Seit elf Jahren machen sie es so: Gemeinsam mit den Darstellern wird ein Grundgerüst zu einer Geschichte gewandelt, spontan auf der Bühne werden die Dialoge entwickelt und immer wieder etwas geändert. Das sei auch der entscheidende Unterschied zum „richtigen“, zum Erwachsenentheater. „Das Erfinden macht ihnen unheimlich viel Spaß“, so Schlue. Die Kursleiterin ist selbst Schauspielerin gewesen, bevor sie sich für die Arbeit mit den Jugendlichen entschied. „Es ist so schön, nicht etwas `reinzutun´, sondern einfach zu sehen, wie alles von selbst aus den Jugendlichen herauskommt“, beschreibt sie ihre Arbeit.
Laura Thyrolm sieht das auch so. Die 20-Jährige spielt schon seit 1999 Theater im Kunstverein und findet, „mit professionellem Schauspielern hat das hier wenig zu tun“. Bei ihren Stücken ginge es eben mehr darum, selbst kreativ zu sein. Das ganze Team habe eine große Verantwortung. Doch das zahlt sich aus: „In der Schule hilft mir das auch viel – bei Vorträgen habe ich nie Angst“, erzählt die Schülerin der Goetheschule. Im aktuellen Stück spielt sie eine wichtige Rolle – und ist kaum zu sehen: Laura spielt die Königin der Riesen und steckt in einem der ausladenden Kostüme, in denen sie mit Holzlatten den großen Kopf hält. Gemeinsam mit einer Puppenspielerin hat die Theatergruppe die Riesen gestaltet. „Da hat man natürlich keine Mimik mehr“, erklärt Laura. „Jetzt ist Bewegung wichtig. Als Königin darf ich nur würdevoll schreiten“, beschreibt sie.
Seinen Mund verziehen und die Augen ängstlich aufreißen darf dagegen Philipe Kozek. Der Vierzehnjährige spielt Gulliver, die Hauptrolle. Wie in der Romanvorlage von Jonathan Swift reist Gulliver aus England übers Meer und in ferne Länder, trifft Zwerge, Riesen und Pferdewesen. Genau vergleichen, was an ihrem Theaterstück anders ist als im Original, kann Philipe aber nicht: „Ich habe das Buch gar nicht gelesen“, sagt er. Doch das muss er offensichtlich auch nicht, um seine Rolle gut zu spielen: Überzeugend echt steht er als zitternder Gulliver vor der Riesenfamilie, sein Blick huscht hin und her. Seit sieben Jahren ist er nun schon dabei und steht entsprechend selbstbewusst auf der Bühne. „Es hilft mir, mal den Schulstress zu vergessen, einfach jemand anderes zu sein und aus der Alltagsrolle zu fallen“, erklärt er seine Begeisterung fürs Schauspielern.
Am liebsten hat er bisher lustige Rollen gespielt. Für Gulliver muss Philipe sich umstimmen. „Das ist schon eine neue Herausforderung“, sagt er, denn auf seiner Reise muss Gulliver auch in der modernen Version viele Rückschläge und Anfeindungen hinnehmen – obwohl der Vorschlag des Riesenmädchens, ihn zu grillen, nicht angenommen wird.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: