Von Jan brunzlow: Haben Stadtverordnete Macht?
Seit 200 Jahren bestimmen die Volksvertreter die Entwicklung der Stadt (mit). Doch in den letzten Jahren kam es, so Wissenschaftler, zu einer Machterosion
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Die Stadtverordneten wollten etwas Gutes: In ihrer Friedhofssatzung haben sie beschlossen, dass auf dem städtischen Friedhof nur Grabsteine aufgestellt werden dürfen, die nicht in Kinderarbeit entstanden sind. Das fand eine breite Mehrheit. Doch ein Gericht hat die Satzung für ungültig erklärt. Die Argumentation: Eine Stadt darf bestimmen wie die Steine auszusehen haben, aber nicht woher sie kommen. Es ist ein Beispiel von vielen bei der Beantwortung der Frage: Ist die kommunale Selbstverwaltung in Gefahr?
Gestellt worden ist sie vom kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Potsdam – beantwortet haben sie Wissenschaft und Politik gestern bei einer Tagung zum Thema „Die Stadtverordnetenversammlung im Wandel der Zeit“: mit einem klaren Ja. Denn die Übertragung von hoheitlichen Aufgaben ohne adäquate finanzielle Ausstattung an die Kommunen und Städte würde deren Handlungsfähigkeit einschränken. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Jubiläums 200 Jahre Potsdamer Stadtverordnetenversammlung statt.
Es ist die Schere zwischen Wollen und Müssen bei der Verteilung des Geldes im städtischen Haushalt. Die Stadt Potsdam hat einen jährlichen Etat von mehr als 400 Millionen Euro. Aber der kleinste Teil seien frei verfügbare Mittel, sagt Peter Schüler. Er ist seit einem Jahr Vorsitzender der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung und sieht die Handlungsfähigkeit der Verwaltung und der Stadtverordneten eingeschränkt. Es gebe eine Machterosion der Volksvertreter, sagt auch Andreas Musil, Professor für öffentliches Recht an der Potsdamer Uni. Dabei waren die gewählten Volksvertreter zwischen 1809 und 1853 mächtiger als der Oberbürgermeister. Die Änderung der Stadtordnung schränkte deren Befugnisse ein – bis heute. Einerseits gebe es einen Machtverlust durch die Vorgaben der Europäischen Union, die eine regionale Selbstverwaltung wie sie es in Deutschland gibt nicht interessiere. Andererseits würden einige Städte die Hebel der Gestaltungsmöglichkeit durch den Verkauf von Beteiligungen selbst aus der Hand geben. Doch zur echten Handlungsunfähigkeit würden die fehlenden Finanzen führen. Die Lage sei in Berlin allerdings schlimmer als in Brandenburg.
Die „Entwertung des Handelns“, wie Jochen Franzke es nennt, sei in ganz Europa zu spüren. Der Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Potsdamer Uni fordert eine Stärkung des Stadtrates. Zudem müsse er professioneller und transparenter arbeiten. Potsdams 21. Oberbürgermeister Jann Jakobs – erstes Stadtoberhaupt war Jakob Brunner im Jahr 1809 – sprach von Bürgern, deren Handeln immer mehr von Partikularinteressen bestimmt werde. „Die Menschen bringen sich nicht mehr im Allgemeininteresse ein“, sagte Jakobs während der Tagung. Das Grundproblem des immer kleineren Handlungsspielraums sei jedoch die Verteilung der Aufgaben in der Sozial- und Bildungspolitik zwischen Bund, Land und Kommunen. „Das funktioniert nicht mehr und muss überprüft werden“, meinte auch Jochen Franzke.
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