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Ausgesprochen KAPUSTE: Habt Erbarmen mit den Männern

Touristengruppen von über Siebzigjährigen unterwegs in Potsdam: in der Regel quicklebendige Frauen und allenfalls zwei, drei müde mitschlurfende Männer. Da fragt man sich: Waren sie schon immer so saftlos, von Beginn an, in ihrer Jugend?

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Touristengruppen von über Siebzigjährigen unterwegs in Potsdam: in der Regel quicklebendige Frauen und allenfalls zwei, drei müde mitschlurfende Männer. Da fragt man sich: Waren sie schon immer so saftlos, von Beginn an, in ihrer Jugend?

Im Westen waren wir Jungs die Stammhalter, die per se mehr Freiheiten genossen als die Mädchen. Wir wurden in einer Gesellschaft groß, die Gatte, Gattin und Fräulein sagte und in der Eltern, die nächtlichen Herrenbesuch erlaubten, den Straftatbestand der Kuppelei erfüllten. Unser evangelischer Pfarrer wetterte gegen Pastorinnen, weil sie, wenn attraktiv, männliche Gottesdienstbesucher zu unreinen Gedanken verleiteten. An den höheren Schulen herrschte Geschlechtertrennung.

Der erste enge Kontakt mit Mädchen kam meist im Tanzkurs zustande. Dies war vor allem ein sportlicher Wettbewerb, bei dem man quer durch den Saal hinüber zu den Mädchen spurtete und schlitterte, um was Ansehnliches zu ergattern. Ansonsten spielte sich mit dem anderen Geschlecht nicht allzu viel ab, abgesehen von Ausnahmen. Es gab noch nicht die Pille, dafür aber den Paragrafen 218. Es wurde halt geknutscht. Im Münchner Fasching kam es auf den Bällen im Haus der Kunst und in den Katakomben des Regina-Palasthotels zu regelrechten Massenknutschereien, die jedes Durchkommen verhinderten.

Junge Frauen waren für uns nicht ergründbare Wesen. Wir ahnten, dass sie reifer und raffinierter waren als wir. Was wir durch großsprecherisches Gehabe auszugleichen versuchten. Wir lebten in Familien, in denen, wie heute, die Mütter das Sagen hatten. Sie waren es, die uns Männer in den folgenden Jahrzehnten immer mehr in die Schranken wiesen und in den 1970er-Jahren nach dem neuen Scheidungsgesetz massenweise die Ehe abrupt beendeten, während manche sich noch immer wie die Paschas aufführten und im Stehen pinkelten.

Tja, jetzt, alt geworden, hocken wir endlos vorm Fernseher oder machen allenfalls den Kassierer in einem Ortsverein. Und wenn wir uns doch mal einer Damenreisegruppe anschließen, meinen wir einfältig, wir seien der Hahn im Korb, wenn eine ruft: „Horst, zähl mal durch, ob alle da sind, du kannst das so gut!“ Ihr Frauen, habt Erbarmen mit uns alten Männern!

Unser Autor ist ehemaliger Stadtverordneter der CDU und war Vorsitzender des Ausschusses für Kultur. Er lebt in Eiche.

Eberhard Kapuste

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