Landeshauptstadt: Hammerschlag für Villa van Merlen
Ein geheimnisvoller Russe ersteigert eines der letzten unsanierten Prachthäuser am Potsdamer Havelufer
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Berlin/Potsdam - Die Zahl hat es in sich: „Einemillionfünfhunderttausendeuro“, ruft Auktionator Michael Plettner in den langgestreckten, mit schwarzen Plastikstühlen ausstaffierten Hotelsaal in Berlin-Mitte. Das Getuschel der Bieter und Interessenten verstummt. Eine der letzten unsanierten, geschichtsträchtigen Havel-Villen in Potsdam steht zum Verkauf. In der dritten Reihe scharrt eine ältere Dame mit ihren Absatzschuhen über den dunklen Fliesenboden, in der fünften Reihe kritzelt ein Inder etwas auf ein Blatt Papier und in der achten Reihe rollt ein Mann in hellblauem Sakko den Auktionskatalog angestrengt zwischen seinen Händen hin und her. Ein Arm hebt sich nicht. „Gibt es ein höheres Gebot?“, ruft Auktionator Plettner zum dritten Mal und lässt seinen Blick durch die Reihen schweifen. Dann holt er tief Luft: „Eeeiinemiiilliiiooonfüüünfhuuunderttaauseendeuroo“, sagt Plettner und lässt den Hammer fallen. Verkauft. In Reihe acht huscht ein Lächeln über das Gesicht des geheimnisvollen Mannes im hellblauen Sakko.
Dreizehn voll ausgewachsene Silberahornbäume säumen die lange Zufahrt zur „Villa van Merlen“ auf Hermannswerder in Potsdam. Rechts des Weges liegen Stall und Remise. Am Haupthaus angekommen lässt ein mächtiges Eingangsportal mit vier Säulen und einem Schmuckgiebel die Besucher über leicht geschwungene Aufgänge in das Haus. Das verklinkerte Gebäude und die Anbauten sind mit kunstvollen Simsen und Giebeln verziert. Unter einem Fenster ist ein tanzendes und von Ranken umhülltes Mädchen sowie ein Flöte spielender Knabe in den Putz eingearbeitet. Auf einer anderen Wand kämpft sich ein Segelboot auf wogenden Wellen durch ein Meer voller Fabelwesen. Es ist ein Haus voller Geschichte.
Am Freitag hat es seinen Besitzer gewechselt: Für 1,5 Millionen Euro ist die „Villa van Merlen“ – bislang im Eigentum des Landes Brandenburg – bei einer Auktion der Deutschen Grundstücksauktionen AG verkauft worden. Der russischsprechende Käufer will unerkannt bleiben. Das ließ er über seinen Dolmetscher mitteilen. Auch was er mit der Villa vorhat, ob er darin wohnen will, verriet der Mann in dem hellblauem Sakko und den Schuhen in Krokodillederoptik nicht.
Sicher ist: Er hat einen Schatz in bester Lage ersteigert. Vor der Halbinsel Hermannswerder weitet sich die Havel zum Templiner See. Im Jahr 1913 hatte sich der zugewanderte Jonkheer Jean Baptiste van Merlen (1880 bis 1950) hier in einer Bucht die Villa bauen lassen, in der Küsselstraße 9. Zu Ruhm und Geld war die niederländische Familie van Merlen unter Baron Joannes Baptista van Merlen gelangt. Er kämpfte gegen Napoleon in der Schlacht von Waterloo – und starb dort. Der junge van Merlen nutzte seine Potsdamer Villa gemeinsam mit seiner Frau Marie Stittrich. Kinder hatten sie nicht. Sie vererbten das Haus an eine Potsdamerin, vermutlich seine Haushälterin, heißt es im Bericht des Landesdenkmalamtes.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Villa zunächst als Krankenstation, später als Kinderheim genutzt. Sie ging über in den Eigentum des Landes. Die Familie van Merlen gilt seit 1990 als erloschen. Zuletzt waren in dem herrschaftlichen Gebäude und den Nebengelässen ein Hygieneinstitut samt Labor untergebracht. Heute steht die Villa leer.
Auf den neuen Besitzer kommen einige Bauarbeiten zu: Im Keller ist Wasser eingedrungen, die Heizungsanlage ist durchgefroren. Die Bäder sind nur einfach eingerichtet und veraltet. Der unbekannte Millioneninvestor dürfte ohnehin seine eigenen Vorstellungen umsetzen wollen – und dabei die Schätze einbeziehen, die der Denkmalschutz hütet: Die gut erhaltene Diele mit der edlen Treppe aus dunklem Holz, Türen und Kassettendecke aus dem gleichen Material, sternförmige Ornamente an der Decke, neobarocker Stuck – in vielen Räumen ist die ursprüngliche Ausstattung erhalten. Im Erdgeschoss der Villa kann sich der Besitzer auf 230 Quadratmeter einrichten, im Obergeschoss kommt noch einmal die gleiche Fläche hinzu. Das Dachgeschoss und der Keller messen zusammen knapp 400 Quadratmeter. Auch der Garten ist denkmalgeschützt, er misst knapp 3000 Quadratmeter und bietet auf einer Länge von 34 Metern einen Zugang zur Havel.
Platz für ein Leben im feudalen Maßstab. Dabei hätte der Russe den Kauf am Freitag fast verpasst: Über zwei Stunden hatte er mit seinem Dolmetscher im Saal auf den harten Plastikstühlen ausgeharrt. Dann verließ er die Auktion für einige Minuten. Als er zurückkam, hatte Auktionator Plettner die Potsdamer Villa bereits für 1,495 Millionen Euro an den Mann gebracht. Nur mit viel Glück und unter Einwilligung des Erstbietenden rief Michael Plettner die Villa ein zweites Mal auf. „Der potenzielle Mitbieter ist nur ein paar Sekunden zu spät in den Saal gekommen“, erklärte Plettner dem erstaunten Publikum. „Das kommt schon mal vor.“
Trotz des Millionenbetrages: Das Mindestgebot von 1,495 Millionen Euro brauchte der unbekannte Käufer nur um 5000 Euro zu überbieten, dann war die Villa van Merlen sein.
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