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Obama oder Ikarus? Matthias Klipp im Stadthaus.

© Manfred Thomas

Von Guido Berg: Handeln statt hoffen

Matthias Klipp ist 100 Tage im Amt. Als Nachfolger von Elke von Kuick-Frenz leitete er im Bauressort eine Wende ein. Auch wenn er gelegentlich Unmut auslöst – seine Vorschusslorbeeren sind noch grün

Stand:

Sauwetter und Berufsverkehr. Unglaublich, der Typ auf dem schwarzen Bike zieht auf der Kreuzung ’rüber von ganz rechts nach ganz links. Eiskalt, nur kurz nach hinten sehend. Ein Auto muss leicht bremsen. Hinter sich her zieht der Kerl einen dieser Kinderanhänger, mit denen Fahrer von tonnenschweren Familien-Schlachtschiffen mit acht Airbags und fünf Crashtest-Punkten nicht einmal einen Kasten Bier transportieren würden. Immerhin, der Mann gehorcht einer roten Ampel. Selbstbewusst wie ein Fernfahrer im Long Vehicle besetzt der schwarze Biker eine komplette Autospur. In der Poleposition wartet er auf grün, blickt gehetzt, aber mit Stolz über die eigene klimaneutrale Mobilität um sich – und wird erkannt: Es ist der Potsdamer Baubeigeordnete Matthias Klipp.

Auch das noch, werden einige der Alphatiere in Potsdam Anfang September dieses Jahres gesagt haben, ein konsequenter Idealist! Einer, der meint was er sagt und sagt, was er meint. Noch bevor Klipp vor 100 Tagen sein Amt antrat, hat er eine Kampfansage durchstellen lassen: „Ich bin auch ein Alphatier!“ Es müsse mehr Transparenz geben, machte er klar und, dass persönliche Bekanntschaften im Bauamt künftig nichts mehr nützen werden: „Das läuft mit mir gar nicht.“ An die Adresse der städtischen Pro Potsdam sendete der Ingenieur die Botschaft: Künftig sei „klar, wer Auftraggeber und wer Auftragnehmer ist“.

Klipp ist in die Stadt hineingefegt wie ein Monsunregen über die Wüste; gefährliche Ausspülungen nicht ausgeschlossen. Der Kontrast ist nicht nur deshalb so augenfällig, weil Klipp ein charismatischer wie unkonventioneller Typ ist, dem Etikette Schnuppe ist. Der Glanz im Bauressort wirkt auch deshalb so gleißend, weil seine Vorgängerin so blass aussah im Amt. Der Ex-Berliner kann anstellen was er will, einen Satz wird er nie hören müssen, nicht einmal von denen, denen er bereits auf die Füße getreten ist: „Das hätte Elke von Kuick-Frenz besser gemacht.“

100 Tage sollen das erst sein? Andere kommen mit der Anzahl von Klipp ausgelöster Schlagzeilen über eine ganze Wahlperiode. Seine Ausstrahlung, Intelligenz und anpackende Hemdsärmeligkeit reizte zu Vergleichen; er sei der „Obama von Potsdam“ wurde gerufen am Anfang. Ein Ikarus sei er, der der Sonne zu nah kommt, hieß es zuletzt, als er mit seinen Bemerkungen zur Bibliothekssanierung Volkes Zorn auf sich zog. Ausgerechnet Katherina Reiche (CDU) belehrte ihn auf diese Weise: „Erst denken, dann reden.“ „Unverantwortlich“ ist es, donnerte der Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD), der von der Bürgerinitiative Mitteschön angeschobenen Debatte neue Nahrung zu geben. Neubau der Bibliothek an anderer Stelle? Mit welchem Geld denn? Klipp hatte lediglich erklärt, es sei noch Zeit, über städtebauliche Probleme der Sanierung nachzudenken. Doch innerhalb von nur wenigen Tagen wurde aus dem Hoffnungsträger der Buhmann.

Vergessen schien schnell, dass Klipp in dieser Stadt schon einige Kastanien aus dem Feuer geholt hat: Er hoffe, lange werde die hässliche Brandwand am neuen Parkhaus in der Schiffbauergasse nicht zu sehen sein, hatte Jakobs bei der Einweihung der Hochgarage erklärt. Aber dann war es Klipp, der das Prinzip Hoffnung eintauschte gegen das Prinzip Handeln und die Baugenehmigung auf den Weg brachte für einen im kommenden Jahr entstehenden Gewerbebau des Investors Dirk Onnen, der das Parkhaus optisch abrunden wird.

Auch mit seiner „Task Force“ für Steuerbescheiden nach Denkmalssanierungen agiert Klipp souverän in einem Bereich, der in gewisser Weise einmal „Chefsache“ war: Weil der Bauherr der Villa Gericke über ein Jahr die Belege zur Steuerabschreibung nicht erhielt, hatte Jakobs per Dienstanweisung erklärt, der Vorgang sei „umgehend zu bearbeiten“. Infolge dessen musste sich der Oberbürgermeister der Vorwürfe etwa des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ erwehren, er begünstige einen Investor. Freilich führte die bundesweit beäugte Querele nicht zu einem beschleunigten Abbau des Steuerbescheide-Staus – bis Klipp kam.

Die Liste der Vorgänge, bei denen der neue Baubeigeordnete innerhalb seiner ersten 100 Tage die Bremse löste, ist lang: Da hat die Stadt die Chance, Millionen zu investieren in ihr Bestes, das Welterbe. Bringt sie einen Euro auf, bekommt sie vom Bund zwei dazu. Ein gutes Geschäft, möchte man meinen, doch Potsdam lehnt zunächst ab, sehr zum Unmut der Bornstedterin Jutta Erb-Rogg. Die Chefin des Friedhofs von Sanssouci sieht täglich zu, wie Kirchturm, Mauern und Trauerhalle vor sich hinbröckeln. Eines späten Abends erhält sie eine Mail von Klipp, der ihr und sich Mut macht: Da müsse doch noch was zu machen sein. Klipp schob die Verhandlungen mit Bund und Land wieder an und war erfolgreich: Ab Frühjahr 2010 startet nun die Sanierung von Villa Tieck, Friedenssaal, königlichem Teehaus und Bornstedter Friedhof.

Und weiter: Kurz vor der Landtagswahl am 27. September griff Klipp Landesbauminister Reinhold Dellmann (SPD) öffentlich derart an, dass das Land quasi als Schweigegeld für Klipp einen Millionen-Betrag für die Sanierung der Humboldtbrücke nachschoss. Einen Bereichsleiter im eigenen Amt mahnte Klipp wegen schwerer Fehler bei der Brückensanierung ab. Folgendes Zitat verdeutlicht, wie es zugeht in Klipps Welt: Für das Geld, das die Humboldtbrücke verschlingt, „hätten wir alle Radwege neubauen, überdachen und beheizen können“.

Epochales Verständnis deutet Klipp an, wenn er über die Wiedergewinnung der Potsdamer Mitte spricht. Keine andere Stadt in Deutschland stehe vor einer solchen städtebaulich bedeutsamen Zeit. Mit seiner Ankündigung, die Stadt werde ein Leitbauten-Konzept erarbeiten, erheischte Klipp sogar Lob der Bürger von Mitteschön. Einen Riesenknoten durchschlug er, als er ankündigte, an der Alten Fahrt müsse keine Tiefgarage für 300 Autos gebaut werden. Erst dadurch wird nun ein Verkauf der Grundstücke an mehrere Bauherrn statt an einen Großinvestor möglich.

Wenn Klipp heute seine 100-Tage-Pressekonferenz abhält, wird er auch sagen, wie es weitergeht – in den nächsten 100 Tagen. Eines scheint schon jetzt klar: Es wird eine aktionsreiche Zeit. Potsdams Ampeln steht auf grün.

Das Video wurde uns freundlicherweise von PotsdamTV zur Verfügung gestellt.

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